Die Frau des Diplomaten (German Edition)
Simons Büro, das mit einer Größe von drei mal vier Metern doppelt so groß ist wie mein Vorzimmer. Durch das Fenster hat man freie Sicht auf eine weitläufige Rasenfläche. Simons Schreibtisch ist aus dunklem Holz, und abgesehen von einem Foto von Rachel auf der äußeren linken Ecke steht sonst nichts darauf. An den Wänden hängen eine große Europakarte, Simons Cambridge-Diplom und einige Dankschreiben von Regierungsvertretern.
„Sir, ich entschuldige mich für meine Assistentin“, erklärt Simon, nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen habe. Schon wieder bin ich nur seine Assistentin. „Ich erklärte Marta soeben, dass ihre Bekanntschaft aus Polen ganz sicher nicht der Marek Andek ist, von dem wir sprechen.“
Der stellvertretende Minister dreht sich zu mir um. „Und was glauben Sie?“
Ich muss schlucken, da ich es nicht gewohnt bin, im Büro nach meiner Meinung gefragt zu werden. „Ich glaube, er könnte es sein.“
„Das ist völlig unmöglich!“, wirft Simon ein. „Erstens ist Andek kein Pole, sondern Tscheche.“
„Eigentlich nicht“, widerspricht ihm der stellvertretende Minister. „Wir nehmen mittlerweile an, dass er während des Kriegs aus Polen floh.“
Ich nicke. „Als ich ihn das letzte Mal sah, sprach er davon, dass er nach Süden über die Grenze entkommen wollte.“
„Beschreiben Sie den Mann.“
„Etwa so groß“, sage ich und halte meine Hand über Kopfhöhe. „Braune Haare, und hier eine Narbe.“ Mit den Fingern beschreibe ich einen Halbkreis unter meinem rechten Auge. Eine Verletzung, die er sich zuzog, als eine selbstgebaute Bombe zu früh detonierte. „Er ist Jude“, füge ich hinzu. „Er war damals aktives Mitglied einer Widerstandsbewegung gegen die Deutschen.“
„Und woher weißt du das alles?“, hakt Simon misstrauisch nach.
Ich drehe mich um und sehe ihm in die Augen. „Weil ich ebenfalls Mitglied der Widerstandsbewegung war.“
Sekundenlang herrscht Stille. „Du warst was ?“, fragt Simon ungläubig, worauf ich nicke.
Der stellvertretende Minister schiebt mir einen der Stühle vor Simons Schreibtisch zurecht. „Erzählen Sie uns alles.“
Ich setze mich, atme tief durch und beginne: „Ich lebte mit meiner Mutter im Krakówer Ghetto, als man mich für den Widerstand warb.“
Der stellvertretende Minister sieht zu Simon. „In Kraków? Ich dachte, der Widerstand war in Warschau.“
„In Kraków gab es auch eine Bewegung“, bestätigt Simon. „Ich erinnere mich, dass ich in einem Telegramm davon las. Es war eine kleinere, unbedeutende Bewegung.“ Seine Worte versetzen mir einen Stich.
„Fahren Sie fort, Marta.“
„Ich war als Botin für die Bewegung unterwegs, sammelte Informationen und brachte Waffen von hier nach dort.“ Mein Blick wandert zum Fenster, als ich vom Anschlag auf das Warszawa Café erzähle. Unerwähnt bleibt meine Freundschaft mit Emma, ebenso die Tatsache, dass ich Kommandant Richwalder erschossen habe, um Emma zu retten. Und auch Jakub erwähne ich nicht. „Nach dem Attentat wurden die meisten Gruppenführer entweder festgenommen oder getötet. Andek konnte entkommen und sagte mir, dass er in die Tschechoslowakei flüchten will, um sich mit anderen Untergrundkämpfern zu treffen.“
Als ich meine Ausführungen beende, sieht Simon mich fassungslos an. Der stellvertretende Minister mustert ihn. „Und davon haben Sie nichts gewusst?“
Er schüttelt den Kopf. „Wir haben die übliche Überprüfung vorgenommen, ehe sie eingestellt wurde.“
„Warum haben Sie nichts gesagt?“, fragt er mich.
„Ich hatte Angst, etwas zu sagen“, gestehe ich. „Ich kam mit dem Visum einer anderen Frau ins Land, und ich fürchtete, dass man mich zurückschicken würde. Außerdem war ich lange Zeit in einem KZ. Ich versuchte, diese Zeit in meinem Leben zu vergessen.“
„Sie sind eine sehr mutige Frau“, stellt der stellvertretende Minister fest. „Für das, was Sie getan haben, verdienen Sie Anerkennung. Abgesehen davon wird sich die Abteilung für Kriegsverbrechen mit Ihnen unterhalten wollen. Doch im Augenblick gibt es dringendere Angelegenheiten. Ich muss sicher nicht noch einmal ausführen, wie wichtig es ist, den Dechiffrierer von Marcelitis zu bekommen.“
„Nein, Sir, das habe ich verstanden.“
„Und wie es scheint, besteht unsere einzige Hoffnung darin, mit diesem Andek in Kontakt zu treten.“ Er hält kurz inne. „Werden Sie uns dabei helfen?“
Ich zögere, da ich mir nicht vorstellen kann, wie ich ihm
Weitere Kostenlose Bücher