Die Frau des Diplomaten (German Edition)
zweistöckigen Gebäude.
Plötzlich rempelt mich jemand von links an, und ich zucke erschrocken zusammen. „Entschuldigen Sie“, höre ich eine Frauenstimme, die kaum lauter ist als ein Flüstern. Als ich mich umdrehe, greift eine Hand nach meinem Arm, und instinktiv weiche ich zurück. Vor mir steht eine zierliche junge Frau in einem dunklen Herrenanzug und mit einem Herrenhut auf dem Kopf. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass sie mit uns im Flugzeug saß. „Marta?“ Sie wartet nicht auf meine Antwort. „Ich bin Renata, von der Botschaft.“
Wie hat sie mich erkannt? Dann aber wird mir klar, dass ich, von Nancy abgesehen, die einzige Frau auf dem Flug war. „Freut mich, Sie kennenzulernen.“ Ich will meine Hand ausstrecken, doch Renata zieht mich an sich und hüllt mich in eine Wolke aus Parfüm und Zigarettenrauch, während sie mich erst auf die rechte, dann auf die linke Wange küsst.
„Tun Sie so, als würden Sie mich kennen“, zischt sie mir in einem Englisch zu, das einen deutlichen Akzent aufweist. „Ich muss Ihnen das jetzt sagen, denn wenn wir erst im Wagen sitzen, besteht das Risiko, dass wir abgehört werden. Man hat mich hergeschickt, um Sie abzuholen. Ich weiß, warum Sie hier sind, und ich werde Ihnen helfen.“ Ich bin zu verblüfft, um zu reagieren, während Renata mich von der Gruppe wegdirigiert. „Kommen Sie, wir haben eine lange Fahrt vor uns.“ Erst jetzt fällt mir eine schwarze Limousine von der gleichen Art auf, wie sie mich von zu Hause abgeholt hatte. Renata hält mir die Tür auf, und als sie ebenfalls eingestiegen ist, beugt sie sich vor und sagt etwas zum Fahrer. Dann lehnt sie sich zurück und nimmt den Hut ab. Darunter kommen kurz geschnittene, dunkle Haare zum Vorschein. Ihre Wangen sind leicht gerötet, aber ihre Gesichtszüge haben etwas sehr Vornehmes, seltsam Anziehendes. Ihre Augen sind so tiefbraun wie Schokolade. „Wie war der Flug?“, fragt sie laut, während sich der Wagen in Bewegung setzt. Mir wird klar, dass sie lediglich Konversation betreibt, damit derjenige etwas zu hören bekommt, der uns eventuell belauscht.
„Gut, sehr gut“, erwidere ich.
Sie holt ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche und hält es mir hin, aber ich schüttele den Kopf. „Sie können von Glück reden, dass Sie kein schlechteres Wetter erwischt haben“, bemerkt sie, nimmt sich eine Zigarette und zündet sie mit einem eleganten silbernen Feuerzeug an. „Wir hatten schon den ersten Schnee.“ Sie öffnet das Fenster einen Spaltbreit, damit der Rauch abziehen kann.
Als der Wagen den Flughafen verlässt und auf eine Hauptstraße einbiegt, spricht keiner von uns ein Wort. In der Ferne kann ich noch eben die von Nadelwäldern überzogenen Berge erkennen, deren Silhouette sich schwach vom blassgrauen Himmel abhebt. Mir schaudert, als ich mich frage, wie in einem so schönen Land etwas derart Schreckliches gedeihen konnte.
„Ist Ihnen kalt?“, fragt Renata, als ich meinen Mantel enger um mich ziehe, aber ich verneine. „Wir werden bald an der Grenze sein. Ich habe Ihnen die erforderlichen Papiere aus der Botschaft mitgebracht. Haben Sie Ihren Pass zur Hand?“
Ich nicke und hole ihn aus der Tasche, um ihn Renata zu geben. Simon brachte ihn mir gestern Abend zusammen mit den anderen Unterlagen. Er sieht so aus wie die anderen, die ich im Ministerium gesehen habe – der Einband ist schwarz anstelle des üblichen Dunkelrot, und quer über die Vorderseite ist das Wort Diplomat eingeprägt. Als ich den Pass noch am Abend durchblätterte, wunderte ich mich. Er war vor acht Monaten ausgestellt worden, und die Seiten waren hier und da umgeknickt und abgewetzt und zudem mit Stempeln übersät. „Es soll so aussehen, als wärst du ein erfahrener Kulturattaché“, erklärte Simon. „Wir wollen vermeiden, dass jemand misstrauisch wird.“ Verblüfft sah ich mir die Stempel aus Dutzenden von Ländern an, die ich nie besucht hatte, während ich mir die Ziele einzuprägen versuchte, falls mich jemand danach fragte.
Der Wagen fährt eine halbe Ewigkeit bergauf, dann bezwingt er die nächste Steigung, ohne dass wir wieder talwärts unterwegs gewesen wären. Nach einer Weile erreichen wir einen Grenzübergang. Der Wagen hält, Renata kurbelt das Fenster herunter. „Guten Tag“, begrüßt sie den Zöllner auf Deutsch und gibt ihm unsere Pässe. Er erwidert nichts, blättert in den Pässen und schaut dann in den Wagen. Mir stockt der Atem. Wird er mir irgendwelche Fragen stellen? Doch er
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