Die Frau des Diplomaten (German Edition)
Sie sollten lieber an Bord gehen.“
Ich verdränge meine Gedanken an Paul und gehe auf die kleine Treppe zu, die zum Flugzeug führt. Als ich die Stufen nach oben steige, wird der Sog durch die Propeller so stark, dass mir die Haare ins Gesicht wehen. In der Maschine steht eine Frau in dunkelblauer Montur bereit, sie hält ein Klemmbrett in der Hand. An ihr vorbei kann ich ins Cockpit sehen, wo der Pilot und noch ein Mann sitzen, vor sich viele Lämpchen und Schalter. Mir wird ein wenig schwindlig. „Miss Nederman?“, spricht die Frau mich an. Ich nicke und wundere mich darüber, meinen Mädchennamen zu hören. „Ich bin Nancy, Ihre Stewardess. Darf ich Ihnen das Gepäck abnehmen?“ Ich gebe ihr den Koffer, den sie in einem kleinen Spind im vorderen Teil der Maschine verstaut, dann führt sie mich in den Passagierraum. „Wenn Sie bitte hier Platz nehmen würden.“ Sie zeigt auf den zweiten Sitz rechts, der als Einziger noch frei ist. „Und legen Sie bitte den Gurt an.“ Dann entfernt sie sich.
Nachdem ich mich gesetzt habe, sehe ich mir die anderen Passagiere an, bei denen es sich überwiegend um junge Männer handelt. Ein paar von ihnen tragen Uniform. Wer sind diese Leute, und wo wollen sie hin? Meine Überlegungen werden durch einen lauten Knall unterbrochen, als die Stewardess die Tür schließt. Am liebsten möchte ich in diesem Moment aufspringen und das Flugzeug verlassen, doch dafür ist es nun zu spät. Das Motorengeräusch wird lauter, die Maschine setzt sich in Bewegung. Ich schließe den Gurt, meine Finger zittern. Ich sage mir, dass ich so mutig sein muss wie Paul. Aber ich kann nicht an ihn denken, ohne mir gleichzeitig vorzustellen, wie schrecklich der Absturz gewesen sein muss. Nein, ich muss jetzt an Rachel denken, die in ihrem Bett liegt und friedlich schläft.
Das Dröhnen der Motoren wird noch lauter, da die Maschine weiter beschleunigt, und ich werde in den Sitz gedrückt. Ein lautes Geräusch ertönt, dann ein zweites, und schließlich stockt mir der Atem, als ich spüre, dass wir den Kontakt zum Boden verlieren. Das Flugzeug scheint sekundenlang dicht über der Rollbahn zu schweben, dann steigt es allmählich höher. Ich vergesse meine Nervosität und sehe aus dem Fenster in den Himmel, der sich am Horizont bereits rosa färbt.
„Kaffee?“ Nancy steht neben meinem Platz und hält ein Tablett in der Hand.
Überrascht sehe ich sie an. „Könnte ich auch ein Glas Wasser bekommen?“
„Natürlich.“ Sie schenkt mir ein Glas ein und reicht es mir. „Wir werden München etwa gegen halb zehn erreichen.“
Das ist also unser Ziel. „Vielen Dank.“ Ich schaue wieder aus dem Fenster. München. Mir läuft es eisig über den Rücken. Mir war nicht klar gewesen, dass wir in Deutschland landen würden. Dachau liegt ganz in der Nähe von München. Nein, denk nicht darüber nach, ermahne ich mich noch, doch es ist bereits zu spät. Ich fühle wieder den Betonboden, Panik steigt in mir auf, und mir fällt das Atmen schwer. Ich balle die Hände zu Fäusten. Ich darf die Erinnerung nicht hochkommen lassen. Das ist zu viel für mich, denke ich und atme so tief durch, wie es geht. Die Nazis sind nicht mehr da, und doch ist es für mich unfassbar, dass ich heute noch nach Deutschland zurückkehren werde.
Mein Blick wandert durch die Reihen. Einige Passagiere haben Decken hervorgeholt. Ich habe in der letzten Nacht kaum geschlafen, und ich sollte wirklich versuchen, ein wenig Schlaf nachzuholen. Ich lasse den Kopf gegen den Sitz sinken und schließe die Augen, das gleichmäßige Brummen der Motoren hat eine einlullende Wirkung.
Plötzlich gibt es einen lauten Knall, ich reiße die Augen auf. Stimmt etwas nicht mit dem Flugzeug? Ich setze mich auf. Die anderen Passagiere wirken nicht erschrocken, vielmehr packen sie ihre Sachen zusammen. „Willkommen in München!“, verkündet Nancy, die im vorderen Bereich der Kabine steht. „Wenn Sie ausgestiegen sind, begeben Sie sich bitte zur Zollabfertigung.“ Offenbar habe ich den gesamten Flug mitsamt Landung verschlafen. Als ich aus dem Fenster sehe, bemerke ich eine schneebedeckte Rasenfläche neben der Rollbahn.
Ich folge den anderen Passagieren durch den Gang und nehme von Nancy meinen Koffer entgegen, dann gehe ich die Stufen hinunter. Es ist kalt, und die feuchte Luft lässt vermuten, dass es weiter schneien wird. „Hier entlang, bitte.“ Nancy ist ebenfalls ausgestiegen, an uns vorbeigegangen und führt uns nun zu einem schmucklosen
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