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Die Frau des Diplomaten (German Edition)

Die Frau des Diplomaten (German Edition)

Titel: Die Frau des Diplomaten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pam Jenoff
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ausbessern will, da ja der andere davon profitieren könnte. Das Gleiche gilt für die Bahnlinien. Die Sowjets verlegen ihre Schienen mit einer anderen Spurbreite als der Rest der Welt. Wenn man mit dem Zug nach Prag fährt, muss man an der Grenze umsteigen.“
    „Aha“, sage ich und frage mich, ob Renata wohl ihre eigene Warnung vergessen hat. Oder spricht sie so offen darüber, weil diese Dinge jeder weiß?
    Die Landschaft ringsum beginnt sich zu verändern. Wälder und Felder weichen Lagerhäusern und Fabriken. Schornsteine stoßen dicke, schwarze Rauchwolken in den Himmel. Hinter den Fabriken sehe ich den Kahlschlag an den Hügeln. Die Folgen des Tagebaus, denke ich traurig. Das einst blühende, an Kohle so reiche Land wird rücksichtslos ausgebeutet. Mit einem Mal fühle ich mich müde, und ich lehne mich zurück, schließe die Augen und lasse mich vom leichten Schaukeln des Wagens in einen Halbschlaf wiegen.
    „Sehen Sie.“ Renata berührt meinen Arm, irritiert schrecke ich hoch. Sie zeigt durch die Windschutzscheibe. In der Ferne erkenne ich Hausdächer und Kirchturmspitzen. „Das ist Prag.“ Ich zwinkere ein paarmal und überlege, wie lange ich wohl geschlafen habe. Die Straße überwindet eine leichte Kuppe, dann liegt das Panorama der Stadt mit seinem Meer aus roten Dächern vor uns. Ein breiter Fluss schlängelt sich mitten durch die Stadt und teilt sie in zwei Hälften. „Die Burg im Stadtteil Hradcany“, sagt Renata und deutet auf ein gewaltiges Bauwerk auf einem Hügel am gegenüberliegenden Ufer. Der Anblick erinnert mich an die Wawelburg in Kraków, nur ist diese Burg hier ungleich größer. „Darunter liegt das Viertel Malà Stana, auch Kleinseite genannt, wo sich die Botschaft befindet.“ Der Wagen fährt jetzt talwärts und erreicht die engen gewundenen Straßen und Gassen der Stadt. Die Häuser sind in Blau-, Rosa- und Gelbtönen gestrichen, gedämpft werden die ursprünglich leuchtenden Farben durch eine gleichmäßige, alles überziehende Rußschicht. „Auf dieser Seite liegt die Altstadt. Hier werden Sie wohnen, und zwar im Excelsior Hotel. Das ist ganz in der Nähe des Altstadtplatzes.“
    „Reizend“, spiele ich mit, um meine Tarnung zu wahren. „Das muss ich mir auf jeden Fall alles ansehen.“ In Wahrheit werde ich wohl kaum Zeit haben, mich mit der Schönheit der Stadt zu befassen. Wie Simon gestern Abend noch einmal betonte, ist es von entscheidender Bedeutung, dass ich schnell einen Erfolg erziele. Ich muss Marek dazu bringen, ein Treffen mit Marcelitis zu arrangieren, den ich wiederum dazu bringen muss, mir den Dechiffrierer auszuhändigen, bevor die Sowjets den wahren Grund für meine Anwesenheit entdecken.
    Als wir an einer Ampel halten, fällt mir ein Gebäude mit hebräischer Schrift über der Tür auf. „Eine Synagoge.“
    Renata nickt. „Wir sind hier fast in Josefov, dem jüdischen Viertel. Früher lebten sehr viele Juden in Prag, aber nach dem Krieg sind nur wenige zurückgekehrt. Die meisten sind nach Israel, nach Westeuropa oder nach Amerika ausgewandert.“
    So wie ich. „Man kann es ihnen nicht verübeln, dass sie weggegangen sind.“ Mir entgeht mein rechtfertigender Tonfall nicht.
    „Natürlich nicht“, stimmt Renata hastig zu. „Ich wollte nur betonen, wie bedauerlich es ist, dass wir diesen Teil der Bevölkerung verloren haben.“ Ich betrachte die Synagoge, die so aussieht, als hätte sie den Krieg unbeschadet überstanden. Allerdings ist sie völlig heruntergekommen. Die Bleiglasfenster weisen zahllose Sprünge auf, die Stufen zum Eingang sind zugewuchert und geborsten. Vor meinem geistigen Auge sehe ich die winzige Synagoge in unserem Dorf. Ob wohl noch jemand dort ist, um regelmäßig beten zu gehen? „Die Synagogen sind zwar geblieben, aber sie erfüllen kaum noch ihren Zweck, da fast niemand mehr da ist, der sie besuchen will“, ergänzt Renata und senkt ihre Stimme. „Man sagt, die Kommunisten wollen ein jüdisches Museum schaffen, aber das ist doch auch nur wieder so eine Propaganda-Aktion der Sowjets.“
    Hinter der Synagoge entdecke ich einen großen jüdischen Friedhof mit Tausenden von Gräbern. Hunderte Jahre jüdischer Geschichte, denke ich. Und diese Menschen hatten alle das Glück, lange vor dem Krieg gelebt zu haben. Ich betrachte die Risse in den Grabsteinen, das hohe, alles überwuchernde Gras. Sind denn gar keine Juden mehr hier, um sich um den Friedhof zu kümmern? Oder haben sie Angst, gesehen zu werden? Für einen Juden ist

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