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Die Frau des Diplomaten (German Edition)

Die Frau des Diplomaten (German Edition)

Titel: Die Frau des Diplomaten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pam Jenoff
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die Grabpflege eine moralische Verpflichtung, auf diese Weise ehrt er seine Ahnen. Ich erinnere mich noch gut, wie mein Vater in Wind und Wetter jede Woche zum Friedhof ging, um das Grab seiner Eltern zu besuchen und ein Gebet zu sprechen. Es kursierten sogar Gerüchte, dass manche Juden in Kraków mitten im Krieg auf den Friedhof schlichen, um jene Gräber zu pflegen, die von den Deutschen noch nicht völlig zerstört wurden, und trotzig ein paar Kieselsteine auf den Grabsteinen hinterließen, um zu zeigen, dass sie dort gewesen waren. Ein Stich geht mir durchs Herz, als ich daran denke, dass meinen Eltern eine angemessene Beisetzung verwehrt geblieben ist.
    „Da wären wir“, verkündet Renata, als der Wagen Minuten später vor einem Hotel hält. „Der Portier wird sich um Ihre Tasche kümmern“, sagt sie mir nach dem Aussteigen, als ich zum Kofferraum gehen will. Also folge ich ihr hinein zum Empfang und halte ein wenig Abstand, während sie sich mit dem Hotelangestellten auf Tschechisch unterhält. Dem großen Foyer kann man ansehen, dass es früher einmal sehr prunkvoll gewesen ist. Aber jetzt ist der Teppich abgewetzt, und am Kronleuchter sind viele Glühbirnen ausgefallen oder herausgeschraubt worden. In der Luft hängt der Geruch von Dill, den man zu lange gekocht hat.
    Renata kommt zu mir und gibt mir einen Zimmerschlüssel. „Ich nehme an, Sie sind sehr müde. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.“ Verwundert sehe ich sie an, dann zieht sie mich zu sich heran, küsst mich erneut auf die Wangen, und raunt: „Gehen Sie rauf und stellen Sie Ihre Tasche ab, dann warten Sie zehn Minuten. Am anderen Ende des Flurs gibt es eine Treppe, die in die Gasse hinter dem Haus führt. Ich werde dort auf Sie warten.“ Sie lässt mich los und schlendert durch die Lobby zum Ausgang.

16. KAPITEL
    Ich schließe die Tür zu meinem Zimmer auf und schalte das Licht an, die nackte Glühbirne an der Decke erwacht flackernd zum Leben. Dann gibt es einen Knall, und ich stehe wieder im Dunkeln. Ich taste mich an der Wand entlang, bis ich eine Tischlampe gefunden habe. Als ich sie einschalte, stelle ich fest, dass mein Zimmer ein kleiner, dreieckiger Raum ist. In die eine Ecke hat man ein Doppelbett gequetscht, auf dem eine Tagesdecke mit hellrosa Blumenmuster liegt. Links vom Bett steht unter dem Fenster ein Sessel mit einem abgewetzten goldfarbenen Bezug. Es riecht nach Feuchtigkeit.
    Ich lege meine Tasche aufs Bett und suche die Toilette auf. Der Wasserhahn am Waschbecken ist verrostet, zwischen den geborstenen Kacheln wuchert der Schimmel. Viel einladender wirkt dagegen die Badewanne, die auf vier Klauenfüßen steht. Sie erinnert mich an die Wanne zu Hause, die meine Mutter jede Woche für uns mit heißem Wasser füllte.
    Ich wasche meine Hände, dann kehre ich zurück in mein Zimmer. Renata sagte, dass ich zehn Minuten warten soll, aber ich gehe schon jetzt zur Tür, da ich es nicht abwarten kann, Marek zu finden. Im Flur schaue ich aufmerksam nach rechts und links, dann laufe ich zu einer unscheinbaren Tür am Ende des Gangs, folge der Treppe nach unten und gelange, wie von Renata beschrieben, in eine Gasse auf der Rückseite des Gebäudes. Die Sonne ist schon fast untergegangen, und es ist kälter geworden, sodass ich meinen Mantel enger um mich ziehe, damit ich nicht friere. Ich kneife die Augen zusammen, die sich noch nicht ganz an die schlechten Lichtverhältnisse gewöhnt haben. Die Gasse ist schmal, zu beiden Seiten stehen hohe Backsteingebäude. In der Luft hält sich ein intensiver Abfallgeruch. Neben mir raschelt etwas auf dem Boden, dann bemerke ich eine Ratte. Mir wird übel. Im Gefängnis hatte es von Ratten nur so gewimmelt. Sie waren in den Wänden, wo sie kratzten und schabten, und nachts liefen sie quer durch meine Zelle. Schon im Ghetto waren diese Tiere eine Plage gewesen. Einmal wachte ich schreiend auf, als eine Ratte sich auf meinen Hals gesetzt hatte. Mama scheuchte sie weg und erschlug sie mit dem Besen. Danach hatte ich solche Angst, dass ich lange Zeit nicht einschlafen konnte.
    Jemand greift nach meinem Arm. „Heh!“, rufe ich und zucke zusammen.
    „Schhht!“, zischt Renata mir zu. Sie hält weiter meinen Arm fest und dirigiert mich zu einer Seitenstraße. „Seien Sie vorsichtig“, warnt sie mich und deutet auf das nasse Kopfsteinpflaster. Mir fällt auf, dass Renata sich in der kurzen Zeit umgezogen hat. Sie trägt jetzt einen knielangen schwarzen Rock und eine rosa Bluse, die tief genug

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