Die Frau des Diplomaten (German Edition)
um dich um eine kranke Verwandte von mir zu kümmern“, erklärt er. Mir entgeht sein ängstlicher Tonfall nicht. Dass ich für ein paar Tage nicht zu Hause bin, bedeutet für ihn eine ganz erhebliche Abweichung von seiner Routine. Während meiner Abwesenheit muss er sich mit unserem Kind und anderen Dingen befassen, von denen er üblicherweise nur wenig mitbekommt. „Ich glaube, eine Tante in Yorkshire wäre am überzeugendsten.“
Ich nicke. Delia weiß, dass ich keine Angehörigen mehr habe. Allerdings missfällt es mir, sie zu belügen. Als ich gestern Mittag aus dem Büro kam und sie und meine völlig begeisterte Tochter beim Plätzchenbacken überraschte, da hätte ich ihr zu gern von meiner Reise erzählt. Aber solche vertraulichen Informationen muss ich für mich behalten, nicht einmal Delia darf etwas darüber wissen. „Bestimmt wird sie sich anbieten, hier zu übernachten und auf Rachel aufzupassen.“
Hinter mir höre ich ein Motorengeräusch, das allmählich lauter wird. Eine schwarze Limousine fährt vor. „Es wird Zeit“, sagt Simon.
Ich drehe mich abermals zu ihm um, weil ich will, dass er mich versteht. Wenigstens ein bisschen. „Simon, ich …“
Er hebt die Hand. „Es wird Zeit“, wiederholt er, dann beugt er sich vor und küsst mich unbeholfen auf den Mund. „Pass gut auf dich auf.“
„Das werde ich.“ Ich gehe die Stufen hinunter. Am Wagen steht ein Mann in dunkler Uniform und hält mir die Tür auf. „Guten Morgen“, sage ich und steige ein. Der Mann antwortet nicht, sondern nimmt mir den Koffer ab und schließt die Wagentür. Ich schaue aus dem Fenster, da ich hoffe, Simon zum Abschied winken zu können. Doch die Haustür ist geschlossen und alle Fenster sind dunkel.
Der Wagen fährt los und biegt nach rechts in die Hampstead High Street ein. Erst da wird mir klar, dass ich gar keine Ahnung habe, wohin es eigentlich geht. Ich klopfe gegen die Trennscheibe, der Fahrer schiebt sie auf. „Ja?“, fragt er, ohne zu mir zu sehen.
Ich beuge mich vor. „Wohin fahren wir?“
„Northholt Air Base.“ Bevor ich nachfragen kann, hat er die Trennscheibe schon wieder geschlossen.
Ein Flughafen. Ich werde also nach Prag fliegen. Ich lehne mich zurück und lasse mir diese Erkenntnis durch den Kopf gehen, während wir durch den Norden Londons fahren. Ich weiß nicht, warum mich das so überrascht, vielleicht liegt es daran, dass ich einfach keine Zeit hatte, mir darüber Gedanken zu machen. Angesichts der Eile der Mission ist es eigentlich nur logisch, dass ich ein Flugzeug nehme.
Wir fahren an den großen Lagerhäusern im Norden vorbei, dann wird die Bebauung spärlicher, und schließlich sind wir über Land unterwegs. Links und rechts der Straße ist alles dunkel. Ich war bislang nur einmal in dieser Gegend, als Simon mit mir einen Ausflug nach Cambridge unternahm, um mir zu zeigen, wo er studiert hatte. Das war kurz nach unserer Hochzeit, wir waren damals mit dem Zug unterwegs, als wir über das flache Land fuhren, das sich bis zum Horizont erstreckte. Ich stelle mir vor, dass die Landschaft jetzt genauso aussieht, doch es ist noch immer zu dunkel, um irgendetwas abseits der Fahrbahn zu erkennen.
Wenig später hält der Wagen vor einem unscheinbar wirkenden Tor. Wir halten an, ich höre den Fahrer leise mit einem Wachmann reden. Das Tor wird geöffnet, wir fahren weiter. In der Dunkelheit kann ich ein Flugzeug erkennen, dann ein weiteres, bis eine ganze Reihe schlafender Giganten zu sehen ist. Ich habe noch nie ein Flugzeug aus der Nähe gesehen und hatte ja keine Vorstellung, wie gewaltig groß diese Ungetüme sind. Schließlich halten wir neben einer der Maschinen. „Da wären wir“, sagt der Fahrer, als er mir die Tür öffnet.
Ich steige aus und halte inne, als das Flugzeug vor mir aufragt. Was Paul wohl durch den Kopf ging, als er sich auf seinen schicksalhaften Flug nach England begab? Ich stelle mir vor, wie er lachte und mit seinen Kameraden scherzte. Ganz bestimmt hat er sich gar keine Gedanken gemacht, schließlich war er schon Dutzende Male geflogen und ganz sicher auch schon mit dem Fallschirm abgesprungen. Der Flug nach England war für ihn nur eine nebensächliche Notwendigkeit, der erste Schritt auf dem Weg nach Hause. Vielleicht hat er an unser bevorstehendes Wiedersehen gedacht.
„Madam?“ Der Fahrer steht neben mir und brüllt mir ins Ohr, um das Dröhnen der Propeller zu übertönen. Er drückt mir meinen Koffer in die Hand. „Die sind jetzt startbereit.
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