Die Frau des Diplomaten (German Edition)
während sie aus hohen Gläsern dunkelbraunes Bier trinken. Einige von ihnen schauen uns an, als wüssten sie, dass wir nicht hierhergehören.
Renata scheint davon keine Notiz zu nehmen und sucht stattdessen den Raum ab. „Da“, sagt sie leise und deutet mit einem Nicken auf den hinteren Teil der Bar.
Ich folge ihrem Blick, bis ich einen Mann auf einer Holzbank entdecke. „Ich sehe ihn.“ Marek. Wenn ich ehrlich sein soll – ich hätte ihn nicht so leicht wiedererkannt, hätte Renata ihn mir nicht gezeigt. Ich habe ihn wohlgenährt in Erinnerung, aber jetzt sieht er aus, als hätte er mindestens dreißig Pfund abgenommen. Außerdem trägt er Schnäuzer und Kinnbart. Er versucht wie Alek auszusehen, wird mir in diesem Moment bewusst. Bei seinem Anblick stockt mir der Atem.
„Wir müssen ihn auf uns aufmerksam machen“, erklärt Renata.
Ich nicke nur, da ich zu nervös bin, um etwas zu erwidern. Wie wird er reagieren, wenn er mich sieht? Er ist in eine Unterhaltung mit einem grauhaarigen Mann vertieft und hat sich bislang noch nicht in unsere Richtung gedreht. „Und wie?“, frage ich schließlich. „Ich kann doch nicht einfach zu ihm gehen.“
„Stimmt“, gibt sie mir recht. „Aber ich kann das.“ Sie holt ein Stück Papier und einen Bleistift aus der Tasche, notiert etwas für mich Unleserliches und knüllt das Papier zusammen. „Sie warten hier.“ Ehe ich etwas erwidern kann, durchquert sie die Bar und lenkt einige interessierte Blicke von Männern auf sich, denen ihr verführerischer Rock und die hohen Schuhe aufgefallen sind. Ich setze mich auf einen Hocker und beobachte, wie sie im Vorbeigehen so an Marek entlangstreicht, dass er es bemerkt, während die anderen am Tisch keine Notiz davon nehmen. Im nächsten Moment wirft sie ihm das zusammengeknüllte Papier in den Schoß und geht weiter. Marek sieht verwundert auf, doch da ist sie bereits durch die Tür zu den Toiletten verschwunden. Gebannt verfolge ich, wie Marek das Papier auseinanderfaltet und die Nachricht liest. Er schaut in meine Richtung, und unsere Blicke treffen sich. Er zwinkert und versucht, sein Erstaunen zu überspielen, dann flüstert er dem Grauhaarigen etwas zu, steht auf und kommt gemächlich auf mich zu.
Als er mich erreicht hat, bleibt er stehen und starrt mich an wie einen Geist. „Marta …?“
„ Cze´s´c, Marek“, sage ich auf Polnisch, während ich Mühe habe, meine Stimme unter Kontrolle zu halten.
„Was machst du …?“ Er gerät ins Stocken. „Wir dachten, du wärst …“
„Warum setzt du dich nicht zu mir?“, schlage ich vor.
Er setzt zum Reden an, überlegt es sich dann jedoch anders und nimmt auf dem Hocker neben mir Platz. „Zwei Bier, bitte“, sagt er zu dem Mann hinter der Theke. Ich sehe über seine Schulter und frage mich, wo Renata hin ist. Vermutlich wird sie so lange nicht zurückkehren, wie ich mit Marek rede. Ihre Aufgabe war es, mich zu ihm zu bringen, alles Weitere liegt jetzt in meinen Händen.
Ich betrachte Marek, und sofort entstehen Bilder der Erinnerung in meinem Kopf: Marek am Kopfende des Tisches, neben ihm Alek, während wir wie jede Woche zum Schabbes-Essen zusammensitzen, lachen und reden. Später sitzen die beiden im Hinterzimmer über Dokumente gebeugt und schmieden Pläne. Marek war in jener letzten Nacht an der Hütte, als ich ihn zur Rede stellte. Nachdem Alek weg war, sollte er die Gruppe führen. Natürlich wusste ich da schon, dass es ohnehin niemanden mehr gab, den er hätte führen können. Nach dem Attentat war die Bewegung zerstört, und nicht einmal Alek hätte noch etwas erreichen können. Aber Marek ließ uns einfach im Stich, das ist es, was ich ihm vorwerfe. Fühlt er sich so wie ich schuldig, weil er überlebt hat, während so viele andere sterben mussten?
Das reicht, ermahne ich mich und schlucke meinen Ärger hinunter. Nachdem uns das Bier serviert worden ist, ergreife ich das Wort. „Ihr dachtet, ich wäre tot. Das wolltest du doch sagen, nicht wahr?“
Er nickt. „Die Brücke … Wir hörten, dass Richwalder auf dich geschossen hat.“
„Stimmt, das hat er. Aber ich habe es überlebt. Genau wie die Zeit im KZ.“ Ein wenig Stolz liegt in meiner Stimme. Marek war immer dagegen gewesen, Frauen im Widerstand mit wichtigen Aufgaben zu betrauen. Eine Funktion erfüllten wir nur für ihn, wenn wir den Lockvogel spielen konnten. Er hielt uns für schwächlich und inkonsequent. Als ich jetzt seine verblüffte Miene betrachte, kann ich nicht anders, als
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