Die Frau des Germanen
keinem seiner Untertanen,
die vor ihm auf die Knie sanken, sondern bewegte nur die Augen und sah auf sie herab.
Er war ein großer, kräftiger Mann von Mitte fünfzig, der lange auf seinen Tag gewartet hatte, lange vergeblich und dann lange
als zweite Wahl. Augustus hatte sich einen anderen Nachfolger gewünscht und Tiberius am Ende nur deshalb dazu gemacht, weil
es keinen anderen gab, der zur Verfügung stand.
Tiberius’ leibliche Eltern waren kurz nach seiner Geburt mit ihm nach Griechenland geflohen, weil sie sich gegen Augustus
gestellt hatten, der damals noch Octavian hieß. Als er Kaiser Augustus geworden war, erzwang er die Rückkehr von Tiberius’
Eltern und ihre Scheidung, weil er Livia, Tiberius’ Mutter, heiraten wollte. So wurde Tiberius Augustus’ Stiefsohn ebenso
wie sein Bruder Drusus, Severinas und Germanicus’ Vater, der erst nach der Scheidung geboren wurde.
Drusus war von Anfang an Augustus’ Liebling gewesen, er |298| sollte dem Stiefvater später auf den Thron folgen. Aber als Drusus 9 v. Chr. starb, musste Augustus seine Nachfolge neu überdenken.
Tiberius kam damit in die engere Wahl. Er, der glücklich verheiratet und Vater eines Sohnes war, ließ sich darauf ein, sich
scheiden zu lassen und Augustus’ Tochter zu heiraten. Für Julia, die drei Söhne und eine Tochter hatte, war es bereits die
dritte Ehe, zu der ihr Vater sie zwang. Kein Wunder, dass sie mit Tiberius nicht glücklich werden konnte. Sie flüchtete vor
der häuslichen Tristesse in ein ausschweifendes Leben und fand ihr einziges Glück schließlich darin, dass ihr Vater plötzlich
nicht mehr Tiberius als seinen Nachfolger favorisierte, sondern einen ihrer Söhne.
Als Tiberius das begriff, zog er sich gekränkt ins freiwillige Exil nach Rhodos zurück. Dort erfuhr er, dass Kaiser Augustus,
um dem Volk mit gutem Beispiel voranzugehen, die Lex Julia in seiner eigenen Familie angewandt und seine Tochter wegen ihres
unsittlichen Lebenswandels in die Verbannung geschickt hatte. Da Rhodos auf der römischen Haupthandelslinie lag, war Tiberius
dort nicht vom politischen Leben ausgeschlossen. So kam ihm zu Ohren, welches Schicksal der Frau zugedacht war, mit der er
immer noch verheiratet war, und hochherzig setzte er sich für sie ein. Doch vergeblich! Julia sah Rom nie wieder, Tiberius
allerdings wurde von Kaiser Augustus zurückgeholt, nachdem er sich bereit erklärt hatte, sich von Julia scheiden zu lassen.
Trotz vieler Versprechungen gestand Kaiser Augustus seinem Stiefsohn Tiberius dann doch keine politischen Funktionen zu, als
er von Rhodos zurückgekehrt war. Erst als kurz hintereinander seine drei Enkelsöhne, die er sogar adoptiert hatte, starben,
rückte der verbitterte Tiberius in die Position des möglichen Nachfolgers auf. Besiegelt wurde das Thronerbe schließlich durch
seine Adoption im Jahre 4 n. Chr. Gleichzeitig erhielt Tiberius den Oberbefehl in Germanien, zog im folgenden Jahr bis ins
Mündungsgebiet des Rheins und drang sogar bis zur Weser vor. Er besiegte die Langobarden an der Unterelbe, zog daraufhin elbaufwärts,
eroberte an der mittleren Elbe das Land der |299| Semnonen, wobei ihm auch Fürst Aristan zum Opfer fiel, und wurde erst von Marbod, dem König der Markomannen, gestoppt. Mit
ihm schloss Tiberius einen Freundschaftsvertrag, damit er sich den Aufständen in Pannonien widmen konnte.
Nach Varus’ schmachvoller Niederlage plante er die Rückeroberung Germaniens, aber zu mehr als zu einer Strafexpedition kam
er nicht. Er überschritt den Rhein, drang in langen Spitzen ins Landesinnere ein, verwüstete ein paar germanische Siedlungen
und ihre Felder, kehrte dann aber nach Rom zurück, als ihm gemeldet wurde, dass Kaiser Augustus auf dem Sterbebett lag. Zu
seiner eigenen Krönung wollte er nicht zu spät kommen. Vor allem wollte er sichergehen, dass sich kein anderer ans Bett des
schwachen Kaisers drängte, um Augustus einen besseren Kandidaten als den immer noch ungeliebten Stiefsohn zu präsentieren.
Nun also hatte er sein Ziel erreicht. Mit erhobenen Armen nahm er die Huldigungen seines Volkes entgegen, das sich im Amphitheater
auf den Plätzen drängte und ihm zujubelte.
Gnädig empfing er auch die Gratulation seiner Nichte Severina, die ihm ihren Sohn entgegenschob, damit er vom neuen Kaiser
geherzt wurde. Aber Tiberius ließ sich nur zu einem Lächeln für Silvanus herab. »Geduld, schöne Severina! Du hast deinen Part
noch nicht
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