Die Frau des Germanen
sondern ausschließlich um unsere Freiheit.«
»Die beiden sind selber machthungrig«, gab Hermut zurück. »Deswegen können sie sich nicht vorstellen, dass es Männer gibt,
die anders denken.«
Nun wurde die Hand auf Thusneldas Rücken doch unruhig. »Mein Schwiegervater hasst mich nach wie vor«, sagte Arminius. »Er
ist schon deswegen gegen mich, weil ich mit seiner Tochter glücklich bin.«
Wiete hörte nicht gerne etwas vom Glück anderer Menschen. Wenn sie sich auch mit ihrem Verlust abgefunden hatte, so wurde
er ihr doch immer aufs Neue vor Augen geführt, wenn jemand das Glück beim Namen nannte. Sie wollte nichts mehr vom Glück hören,
seit sie selbst es verloren hatte. Sie sah ihren Bruder an, als hätte sie ihm die Mutter zu ersetzen. »Pass auf, dass dein
Volk nicht deinem Glück geopfert wird.«
Inaja schlug die Eier in den Trog, in dem sie vorher den Getreidebrei für die Fürstenfamilie angerührt hatte. Das Gesinde
bekam den Brei mit Wasser vermischt vorgesetzt, aber hier, am Küchenfeuer, wurde er mit Eiern verrührt und mit Kräutern gewürzt.
Inaja lächelte in sich hinein. Auch sie bekam den Abendbrei mit Eiern und Kräutern und ihr Sohn auch.
»Wenn wir weitere Angriffe der Römer fürchten müssen«, sagte Thusnelda nun, »dann ist es wichtig, dass die germanischen Stämme
vereint bleiben und von einem gemeinsamen Oberhaupt geführt werden.«
|296| Inaja sah sie bewundernd an. Wie selbstverständlich und klug sich Thusnelda an den Gesprächen beteiligte, die eigentlich den
Männern vorbehalten waren! Fürst Segestes wäre entsetzt, wenn er miterleben müsste, wie seine Tochter die Gedanken ihres Gemahls
zu ihren eigenen machte. »Dass die Römer so vernichtend geschlagen werden konnten«, fuhr sie fort, »war nur möglich, weil
die Stämme sich vereinigt hatten und unter einem einzigen Befehl standen.«
Arminius nickte besorgt. »Wenn Segestes und Ingomar dafür sorgen, das einzelne Stämme abtrünnig werden und ihre Fürsten sich
hinter sie stellen …«
»Statt hinter dich!«, warf Hermut ein.
»… dann sind wir nicht stark genug, um uns zur Wehr zu setzen.«
»Das muss mein Vater einsehen!«, rief Thusnelda verzweifelt.
Hermut wandte sich ihr zu. »Er glaubt nicht, dass die Römer uns angreifen werden. Und Fürst Ingomar glaubt es auch nicht.
Sie halten die Römer für besiegt. Und sie glauben, dass Tiberius nach Rom zurückgekehrt ist, weil er kapituliert hat.«
»Er wird wiederkommen.« Arminius nickte düster. »Er oder ein anderer Feldherr. Augustus ist alt und müde, aber Tiberius ist
voller Wut, weil er nicht zum Gegenschlag ausholen konnte. Er wird es wieder versuchen, sobald er Kaiser ist. Und wenn wir
dann nicht gut vorbereitet sind …«
Thusnelda wollte etwas ergänzen, aber da meldete sich plötzlich Wiete zu Wort. »Nur gut, dass das böse Omen sich bereits erfüllt
hat. Wir können sicher sein, dass die Götter mit uns sind.«
Nun war Wiete wieder ihrer Mutter sehr ähnlich, hochmütig und von der eigenen Überzeugung erfüllt. Inaja mochte sich nicht
vorstellen, wie selbstzufrieden Arminius’ Schwester sein würde, wenn sie selbst Mutter geworden wäre und Thusnelda noch mehr
voraushätte als ihr Unglück.
Inaja hätte gern etwas erwidert, hätte Thusnelda gern in Schutz genommen vor dem Vorwurf, der seit der Hochzeit in |297| Thordis’ Gesicht gestanden und sich seit ihrem Tod in der Miene ihrer Tochter verdoppelt hatte. Aber natürlich wusste sie,
dass es ihr nicht zustand, Wietes Anschauung in Frage zu stellen oder zu korrigieren. Dass sie den Getreidebrei mit Eiern
und Kräutern essen durfte, hieß nicht, dass ihr eine Gegenrede zustand. Sogar Thusnelda selbst schwieg immer zu Wietes Anwürfen.
Kein einziges Mal hatte Inaja gehört, dass ihre Herrin die Schuld an ihrer Kinderlosigkeit von sich wies, dass sie sich verteidigte
mit ihrer Liebe zu Arminius und der Unversöhnlichkeit ihres Vaters, mit der er den Willen der Götter beeinflusst hatte.
Umso erstaunter war Inaja, als Thusnelda sich erhob und Wiete so fest ansah, dass sich deren Mund öffnete und ihre Augen größer
wurden. Inaja war sich noch nicht klar darüber geworden, ob es Mut war, der in den Augen ihrer Herrin stand, oder Aufbegehren,
da hörte sie Thusnelda sagen: »Es wird wohl Zeit, euch mitzuteilen, dass ich schwanger bin!«
Tiberius trug seinen Lorbeerkranz wie ein wahrer Kaiser. Hochaufgerichtet stand er da, neigte das Haupt zu
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