Die Frau des Germanen
die sie ihm geknüpft und zur Hochzeit geschenkt hatte. Selbst dann nicht, wenn er in eine Schlacht zog. Gerade
dann nicht! Die Kordel begleitete ihn unter seiner Rüstung und würde ihn schützen. Diese Zuversicht hielt Thusnelda mit beiden
Händen fest.
Die Nachricht, dass der neue Kaiser seinen Neffen gegen |302| Germanien geschickt hatte, war von einem Soldaten gebracht worden, der in einem der Kastelle Dienst tat, die von Kaiser Augustus
am Rhein erbaut worden waren. Nach der Schlacht gegen Varus hatte er sämtliche römische Soldaten abgezogen, Arminius hatte
sie daraufhin von germanischen Söldnern besetzen lassen, die die Grenzen bewachen sollten. Sie befanden sich nun in einem
aussichtslosen Kampf gegen die römische Übermacht und brauchten dringend Hilfe.
Arminius und Hermut zögerten nicht mit der Aufrüstung. Im Nu waren sie und die kriegstauglichen Männer der Teutoburg bewaffnet
und zogen los, um die Soldaten der germanischen Stämme zu mobilisieren, die sich in der Schlacht gegen Varus bewährt hatten.
Ob die anderen Fürsten nun glauben konnten, dass die Gefahr noch nicht vorüber war? Zwar wusste bis jetzt niemand, wie groß
das Heer war, mit dem Germanicus zum Vergeltungsschlag ausholen wollte, aber nun musste jeder einsehen, dass der neue römische
Kaiser nicht daran dachte, die Vernichtung der drei Legionen auf sich beruhen zu lassen.
Thusnelda tastete über ihren Bauch. Was mochte es zu bedeuten haben, dass die Göttin ihre Ehe nun doch mit einem Kind segnete?
Hatte sie eingesehen, dass ihre Liebe etwas war, das diesen Segen verdiente? Arminius war fest davon überzeugt, aber als Wiete
aussprach, was sie dachte, wurde Thusnelda schlagartig klar, dass es ihre eigenen Gedanken waren, die sich in Wietes Mund
formten. Ja, sie war von den gleichen Zweifeln angefallen worden, hatte sie nur verdrängt und so dafür gesorgt, dass sie ihr
nichts anhaben konnten. Niemandem vertraute sie ihre Angst an, schon gar nicht Arminius, und sie gab auch Wiete nicht offen
recht. Nicht einmal Inaja verriet sie später, dass sie unter derselben Angst litt wie Wiete. Wenn das böse Omen sich nicht
erfüllte, indem es ihr Nachkommen verwehrte, wie dann? Kam ein noch größeres Unglück auf die Teutoburg zu?
Thusnelda spürte die Angst über ihren Rücken rieseln. Nun öffnete sie die Augen, um sich von dem Vertrauten, das sie umgab,
besänftigen zu lassen. Aber das leere Schlaffell neben ihr |303| verstärkte ihre Angst nur noch. Was, wenn das böse Omen sich erfüllte, indem ihrem Kind der Vater genommen wurde, noch bevor
es zur Welt kam? Sie selbst hätte diese Angst vielleicht in sich einschließen und totschweigen können, aber nachdem Wiete
sie ausgesprochen hatte, war ihre Sorge nicht mehr beiseitezuschieben. Die entsetzliche Angst stand neben ihrem Bett und würde
sie auf Schritt und Tritt verfolgen, bis Thusnelda sich erneut zur Ruhe begab. Und am nächsten Tag würde sie immer noch da
sein. So lange, bis Arminius aus der Schlacht zurückgekehrt war oder …
Nein, nicht weiterdenken! Thusnelda richtete sich auf und starrte das Windauge an, als könnte sie den Morgen, der dahinter
stand, überreden, nie wieder zur Nacht zu werden. Kalter Schweiß stand nun auf ihrer Stirn, und durch ihren Leib zog sich
eine scharfe Diagonale. Sie legte sich zurück und bemühte sich, ruhig und gleichmäßig zu atmen und den Schmerz zur Ruhe zu
bringen. In ihrem Körper durfte es keinen Aufruhr geben, das werdende Leben musste ungestört bleiben.
Plötzlich kam ihr der Gedanke, dass sich das böse Omen auch erfüllen konnte, indem es ihr das gleiche Schicksal wie Inaja
auferlegte. Noch schlimmer, als niemals schwanger zu werden, war es ja, ein Kind geschenkt zu bekommen und es wieder hergeben
zu müssen. Grausam wäre das nach dem großen Glück, das sie erfüllt hatte, als sie glauben konnte, dass sie wirklich schwanger
war. Wie herrlich waren die Nächte gewesen, in denen sie mit Arminius ganz heimlich dieses Glück genossen hatte! Nebeneinander
hatten sie gelegen, Hand in Hand, durch das Windauge in den sternenübersäten Himmel geblickt und sich ihren großen, starken
Sohn oder ihre schöne, blondgelockte Tochter ausgemalt. Vielleicht hätte sie dieses Glück noch eine Weile in sich einschließen
sollen, dann wäre es ganz nah bei ihr geblieben, nur bei ihr. Aber sie hatte sich darauf gefreut, das Glück noch größer zu
machen, indem die ganze Teutoburg davon
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