Die Frau des Germanen
»Thumelicus«, flüsterte sie.
»Wenn dein Vater dich sehen könnte! Niemals würde er dir antun, was mein Vater mir angetan hat …«
Sanft streichelte sie Thumelicus’ Arm, fuhr mit gespreizten Fingern zärtlich durch seine blonden Locken. Der Schmerz war noch
ganz nah. Vermutlich würde er sich niemals von ihr lösen. |334| Die Worte ihres Vaters hatten sich in ihr Gedächtnis gebrannt, kein einziges davon würde sie je vergessen können.
Als Arminius sich zurückziehen musste, weil gegen die römische Übermacht nicht anzukommen war, erschien Germanicus wie ein
Sieger in der Eresburg und wurde von Fürst Segestes wie ein Sieger empfangen. Erst jetzt begann Thusnelda zu ahnen, was er
vorhatte, erst in dem Augenblick, in dem er sich Germanicus ergab, begriff sie.
»Ihr habt mir Hilfe gewährt gegen die Gewalt eines Mannes, der gegen die Römer Krieg führen will«, begann Fürst Segestes.
»Ich will diese Kriege nicht, habe sie nie gewollt. Arminius, den Verräter, habe ich sogar beim Namen genannt, aber Varus
wollte mir nicht glauben. Ich habe Rom stets gedient. Fest und ohne zu wanken, habe ich in der Treue zum römischen Volk und
seinem Kaiser gestanden. Nun bitte ich Euch um Schutz. Nicht nur gegen diesen einen Angriff Arminius’, sondern auch weiterhin.
Wenn den Römern ihre Rache gelingt, wenn sie Arminius vergelten, was er Rom angetan hat, wenn sie Germanien bestrafen für
das, was unter Arminius’ Führung geschehen ist, bitte ich Euch um Schutz. Ich habe nicht gewollt, was Arminius getan hat!«
Einen Moment lang sah es so aus, als wollte Fürst Segestes sogar vor Germanicus auf die Knie sinken. Dann jedoch bemühte er
sich um Würde, was Germanicus interessiert lächelnd beobachtete.
»Wenn Ihr Germanien einnehmt und das Land so hart bestraft, wie Arminius und seine Anhänger es verdienen, dann verschont mich!
Ich habe es nicht verdient, bestraft zu werden.«
In Germanicus’ interessiertes Lächeln stieg ein wenig Verächtlichkeit. »Ich weiß«, antwortete er bedächtig, »dass Ihr damals
Varus gewarnt habt, und bedaure es außerordentlich, dass er nicht auf Euch gehört hat.«
»Also wisst Ihr«, warf Segestes ein, »wie sehr ich den Römern verbunden bin!«
|335| Germanicus nickte. »Ihr ward es, und Ihr seid es wohl noch heute. Aber wer sagt mir, dass Ihr es bleibt?«
Segestes brauchte nicht lange zu überlegen. Thusnelda begriff sofort, dass der Vorschlag, den er Germanicus machen wollte,
nicht in diesem Augenblick entstand, sondern sorgsam überlegt war. Nun wusste sie genau, dass ihr Vater sie belogen hatte.
Er hatte sie nicht auf die Eresburg geholt, damit er sie schützte. Er hatte etwas anderes mit ihr vor! An diesem Tag erhielt
sie die Strafe dafür, dass sie ihrem Vater ungehorsam gewesen war.
Er griff nach ihrem Arm und schob sie Germanicus entgegen. »Seht her! Das ist meine Tochter!«
Germanicus warf Thusnelda einen flüchtigen Blick zu, dann runzelte er die Stirn, als wolle er Segestes bitten, ihm nicht die
Zeit zu stehlen. Sein Blick wurde jedoch aufmerksam, als Segestes fortfuhr: »Ich gebe zu, sie ist nicht freiwillig hier, ich
habe sie unter Zwang auf die Eresburg bringen lassen. Denn sie ist nicht nur meine Tochter, sie ist auch Arminius’ Weib. Und
sie trägt sein Kind unter ihrem Herzen. Nun sagt mir, edler Germanicus, was wiegt mehr? Dass dieses Weib die Frucht meines
Leibes ist? Oder dass sie die Frucht des Verräters in sich trägt?«
Germanicus brauchte nicht lange zu überlegen. »Letzteres wiegt schwerer«, sagte er mit großer Bestimmtheit. »Arminius’ Weib
und Arminius’ Kind werde ich mitnehmen nach Rom. Beide sollen das Pfand dafür sein, dass Ihr ein treuer Freund Roms bleibt,
Fürst Segestes! Eure Tochter und Euer Enkel werden nur so lange am Leben bleiben, wie Ihr Euch nicht gegen Rom stellt. Und
Arminius werde ich die gleiche Warnung zukommen lassen.«
Thusnelda starrte die Dunkelheit an, wie sie damals ihren Vater angestarrt hatte. Der Schmerz, der in ihr wütete, war heftiger
als jede Demütigung, die sie hier erfahren hatte, in diesem Hause, in dem sie Sklavenarbeit verrichten musste, als eine Sklavin
von vielen. Oder nicht? Nein, sie war nicht eine von vielen. Dass sie die Frau des verhassten Verräters war, wurde ihr Tag
für Tag aufs |336| Neue vor Augen geführt. Meistens von der Herrin selbst, der schönen Severina, die Arminius zu hassen schien wie kaum ein anderer.
»Ich kann
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