Die Frau des Germanen
Gosse.
Streunende Hunde und große Vögel machten sich darüber her und pickten sich aus dem Unrat, was sie gebrauchen konnten.
Geschäfte aller Art säumten die Straßen. Sie sah Römer, die Blumen und Obst verkauften oder Öl und Wein. Kleine Holzgestelle
gab es an jeder Häuserecke, auf denen Kräuter und Gewürze angeboten wurden. Als sie an einem Markt vorbeikamen, sah sie ein
Wasserbecken, in dem Fische schwammen, die wohl schon gegen Mittag in einer Garküche landen würden. Schlächter boten das Fleisch
von Schweinen, Hammeln, Ziegen, Rindern |332| und Kaninchen an, auch Gänse und andere Vögel hingen in den Eingängen der Fleischereien. Thusnelda sah Frauen, die die Waren
prüften und sich dabei mit den Händlern unterhielten. Sie wurden zur Seite gedrängt, wenn frische Waren angeliefert wurden.
Neben fast jedem Geschäftseingang hockte ein zerlumpter Bettler, der die Hand ausstreckte, sobald sich ihm jemand näherte.
Aus Kellerkneipen strömte schon jetzt, am frühen Morgen, fetter Bratengeruch, Getränkeverkäufer stellten sich auf, die Garküchen
postierten Stühle und Tische auf die Straßen und behinderten den Verkehr dadurch. Rom erwachte erst, aber schon wenn die Stadt
sich zu regen begann, wusste man, dass sie zu keiner Zeit wirklich geschlafen hatte.
Der Ochsenkarren wurde langsamer, die Tiere zögerten, der Wagenlenker griff nach seiner Peitsche und schlug auf sie ein, damit
sie nicht anhielten. Prompt begannen die Ladenbesitzer zu schimpfen, als der Karren sich rücksichtslos an ihren Auslagen vorbeidrängte.
Dann fiel eines der kleinen hölzernen Gestelle um, auf denen ein Händler in tönernen Gefäßen Honig anbot. Er ergoss sich in
den Dreck, gerade in dem Moment, als der Ladenbesitzer mit seinem Nachttopf aus dem Laden trat, wo er nicht nur sein Geld
verdiente, sondern auch wohnte. Er wollte den Nachttopf in der Gosse entleeren, da sah er die Bescherung und schleuderte ihn
nun wütend gegen den Ochsenkarren. Treffen sollte der stinkende Inhalt den Wagenlenker, der verantwortlich dafür war, dass
der Honigverkäufer an diesem Tag ein schlechtes Geschäft machte, aber in seiner Wut warf er blind in die Richtung, in der
das Ärgernis entstanden war.
Der Nachttopf traf Thusneldas Hinterkopf. Bevor sie ohnmächtig wurde, spürte sie noch, wie sich der stinkende Inhalt über
sie ergoss, und wie ein Blitz schoss die Erkenntnis durch ihren Kopf, dass so ihre Zukunft und die ihres Kindes aussehen würde:
schutzlos dem Dreck und der Gewalt ausgeliefert …
Sie fuhr mit einem leisen Schrei in die Höhe. Immer wieder dieser schreckliche Traum! Immer wieder das Erinnern an ihren |333| Eintritt in die fremde Welt, jede Nacht erneut das Entsetzen und die Verzweiflung. Wann würde sie endlich vergessen können?
Schon stieg das Würgen wieder in ihre Kehle, der Ekel schüttelte sie. Vergessen! Endlich vergessen! Wenigstens im Traum! Wie
gern würde sie von ihrer Kindheit auf der Eresburg träumen, von ihrer großen Liebe zu Arminius, von ihrem wunderbaren Leben
mit ihm, von dem großen Glück, als sie schwanger geworden war, von der gemeinsamen Freude auf das Kind! Aber vielleicht …
vielleicht würde ihr Leben in Rom dann noch unerträglicher. Womöglich war es besser, das Glück zu vergessen und das Elend
ständig gegenwärtig zu halten, damit es von Tag zu Tag ein bisschen leichter wurde, weil es von Tag zu Tag selbstverständlicher
geworden war – viel selbstverständlicher als die Hoffnung, dass es Arminius gelingen könnte, sie zu befreien!
Thusnelda tastete nach der Liebesrune an ihrem Hals, nahm sie fest in die Hand und lauschte auf das Atmen der Frauen, die
mit ihr in diesem Raum schliefen, und auf das der kleinen Kinder, die bei ihnen sein durften, wenn ihre Herrin, die Nichte
des Kaisers, es erlaubte. Sie tat es nicht immer. Wenn sie zornig war, mussten die Kinder, auch die kleinsten, im Garten schlafen,
nah genug, dass die Mütter ihr Weinen hören konnten.
Die Luft in diesem Raum neben der Küche war verbraucht, das Atmen würde noch schwerer fallen, wenn die Sonne höher stieg.
Dann würde auch der weiche Duft von Zimt und Koriander vergehen, von den Ausdünstungen schwitzender Leiber überdeckt.
Behutsam griff Thusnelda nach der weichen Kinderhand, dann zog sie ihren kleinen Sohn dicht an ihre Seite. Er seufzte leicht,
steckte den Daumen in den Mund und schmiegte sich an sie. Tränen stiegen Thusnelda in die Augen.
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