Die Frau des Germanen
seine Stimme leise. »Es ist eine Ahnung. Sollte ich eher sterben als du, sollte ich sterben,
ohne meinen Sohn gesehen zu haben …« Er brach ab, als fühlte er sich dem Tode näher, wenn er aussprach, was er dachte.
Also ergänzte Hermut: »… dann werde ich dafür sorgen, dass das Schwert weitergereicht wird.«
Agrippina war außer sich, als sie Severinas Schlafzimmer betrat. Die Sklavinnen, die in ihrer Begleitung waren, hatten ihre
liebe Mühe, den Saum ihrer Tunika ihren schnellen Schritten folgen zu lassen.
Severina war erschrocken. Agrippina war der sanftmütigste Mensch, den sie kannte. Wenn sie derart aus der Fassung gebracht
worden war, musste etwas Außergewöhnliches geschehen sein.
Sie hatte ihre Schwägerin eingeladen, sich gemeinsam ihrer Schönheitspflege zu widmen, was ohne Gesellschaft ein langweiliges
Unterfangen war. Gaviana, die sich auf das Herstellen |361| sehr wirkungsvoller Gesichtsmasken verstand, beschäftigte sich gerade mit einer Rezeptur, die der Haut neue Spannkraft verleihen
sollte. Sie mischte Gerste und Erve, eine weidenartige Hülsenfrucht, zu gleichen Teilen, gab Hirschhorn dazu und zwölf Narzissenzwiebeln.
Weiter kamen Zwiebelknollen dazu und Getreidespelt sowie ein ganzes Pfund Honig, das die Maske zum Fließen bringen sollte.
»Euer Gesicht wird glatter strahlen als Euer Spiegel!«, hatte Gaviana behauptet.
Agrippina ließ sich stöhnend auf dem Stuhl nieder, den die Sklavinnen neben Severinas gestellt hatten, und sich einen Hocker
unter die Füße schieben. »Der neue Kaiser will Germanicus loswerden. Mit einem Triumphzug will er ihn abspeisen, und Germanicus
soll ihm dafür auch noch dankbar sein!«
Aufatmend legte sie ihren Kopf in den Nacken, wo eine Sklavin stand, die ihn in ihre beiden Hände nahm und ihn stützte, damit
Agrippina es bequem hatte.
Severina machte es genauso und fragte, während Gaviana ihr die Haut mit Eselsmilch wusch: »Nun mal ganz von vorne! Was ist
passiert?«
Agrippina gab sich große Mühe zu erzählen, ohne das Gesicht zu verziehen, aber Gaviana hatte trotzdem Schwierigkeiten, die
Gesichtsmaske aufzutragen, die jedesmal von Agrippinas Haut tropfte, sobald sie sich erregte. »Der neue Kaiser hat Germanicus
nach Syrien versetzt«, begann sie. »Er soll dort die politischen Verhältnisse ordnen. Was immer das heißen mag!«
»Was ist daran so schlimm?«, fragte Severina.
Agrippina fuhr empört in die Höhe, was Gaviana einen kleinen Schrei entlockte. Die Gesichtsmaske lag in Agrippinas Schoß,
wo sie sofort von ihren Sklavinnen aufgenommen wurde, die sich anschließend unverzüglich daranmachten, ihre Tunika zu reinigen.
Während Gaviana erneut die Maske auf Agrippinas Gesicht strich, stieß Severinas Schwägerin hervor: »Ich will nicht weg aus
Rom.«
»Musst du doch nicht. Du bist deinem Gemahl schließlich |362| auch nicht nach Germanien gefolgt, als Tiberius ihn dorthin geschickt hat.«
»Das war etwas anderes. In Germanien war er, um das Land zu erobern. Dort hatte ich nichts zu suchen. Und natürlich wusste
ich, dass Germanicus irgendwann nach Rom zurückkehren würde. In Syrien aber soll er bleiben. Seine Laufbahn als römischer
Feldherr ist zu Ende!«
Severina konnte ihre Schwägerin nun verstehen, ihre Aufregung allerdings teilte sie nicht. »Germanicus war nicht besonders
erfolgreich in Germanien.«
Das hätte sie nicht sagen dürfen! Agrippina fuhr erneut auf, noch ehe die Bescherung auf ihrem Schoß beseitigt worden war,
die nun Ausmaße annahm, die auch die aufmerksamsten Sklavinnen überforderte. »Germanicus ist Arminius nie unterlegen gewesen,
wenn er ihn auch nicht bezwingen konnte!«
»Auf Siege kommt es an«, gab Severina zurück und schloss die Augen.
Plötzlich entstand Stille im Raum. Die Stille, die aufbricht in einem Schwall von Worten, in einer langen Rede. Severina öffnete
die Augen, die Stille hatte sie erreicht.
»Tut es dir gar nicht leid«, fragte Agrippina nun leise, »dass wir uns dann nicht mehr sehen werden?«
»Doch, natürlich würde mir das leid tun«, beeilte sich Severina zu versichern. »Nur … ich glaube nicht daran, dass ihr lange
in Syrien bleiben werdet. Du wirst wieder nach Rom zurückkommen, ganz sicher! Sobald Tiberius eine neue Aufgabe für Germanicus
gefunden hat.«
Agrippina schüttelte den Kopf. Dann wies sie Gaviana an, die Reste der Gesichtsmaske zu entfernen, ohne auf die erhoffte Wirkung
gewartet zu haben. »Ich glaube es
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