Die Frau des Germanen
nicht«, sagte sie. »Ich befürchte sogar das Schlimmste. Auch deshalb muss ich unbedingt
meinem Gemahl nach Syrien folgen.«
Severina sah sie beunruhigt an. »Wovor hast du Angst?«
»Dass Germanicus nach Syrien geschickt wird, weil er dort unauffällig beseitigt werden kann.«
|363| Nun fiel auch Severina die Gesichtsmaske in den Schoß. Gaviana hatte sich vergeblich bemüht. »Du meinst, Tiberius will ihn
umbringen lassen?«
Agrippina hob die Schultern und ließ sie ausdrucksvoll wieder fallen. »Du weißt, Germanicus ist beim Volk beliebt. Aber Tiberius
will ihn nicht als Nachfolger. Livia auch nicht. Das Volk jedoch wird ihn wollen, wenn es einmal so weit ist. Tiberius hätte
es leichter, wenn es Germanicus nicht mehr gibt.«
Sie erhob sich und machte sich auf den Weg zur Tür, während Severina stumm dasaß und Agrippinas Worte auf sich wirken ließ.
»Germanicus ist dein Bruder«, sagte Agrippina zum Abschied. »Du kannst auch nicht wollen, dass er mit einem Triumphzug abgespeist
wird, bevor er nach Syrien verbannt wird.« Sie warf einen letzten Blick zurück. »Und erst recht kannst du nicht wollen, dass
man ihm nach dem Leben trachtet.«
Arminius’ Zustand verschlechterte sich zusehends. Aus dem Krieger war ein Müßiggänger geworden, aus dem germanischen Fürsten
ein Bauer, der keine Kraft zum Arbeiten hatte und seinen Besitz verkommen ließ. Inaja und Hermut taten zwar ihr Bestes, um
für die Teutoburg zu sorgen, aber die Autorität des Fürsten fehlte an allen Ecken und Enden. Dazu kam, dass auch Hermut und
Inaja keinen Tag mit Freude begrüßten. Hermut wurde oft von der dumpfen Schwermut seines Freundes angesteckt, und Inajas Gedanken
kreisten sowieso mehr um das, was sie verloren hatte, als um das, was ihr geblieben und zu erhalten war.
Das Leben auf der Teutoburg schleppte sich dahin. Die Tage verrannen, brachten nichts Neues. Arminius sprach nur noch von
Thusnelda, weinte um sie und klagte sein Leid von früh bis spät. Das vereinte Germanien interessierte ihn nicht mehr, seine
Pflichten als Stammesfürst jedoch genauso wenig. Ein Thing wollte er nie wieder besuchen, von den Beschlüssen, die dort gefasst
wurden, nichts hören. Sie waren ihm gleichgültig. Alles war ihm gleichgültig geworden – sein ganzes Leben
Einmal sagte er: »Wenn die Römer heute ins germanische |364| Land einfielen, würde ich ihnen unbewaffnet entgegentreten. Sollen sie mich doch töten oder gefangen nehmen. Beides würde
mich Thusnelda und meinem Kind näherbringen. Eines wie das andere wäre richtig. Richtiger als alles, was ich jetzt habe.«
Inaja und Hermut redeten auf ihn ein, ermahnten ihn, machten ihm manchmal Mut, manchmal Vorwürfe, doch er hörte gar nicht
zu.
Am Ende stand immer nur: »Eins würde ich gerne noch tun, bevor ich sterbe: Segestes mit meinem Schwert durchbohren!« Er stieß
dann ein Lachen aus, unter dem Inaja das Blut in den Adern gefror. »Mein lebenslanger Feind!«
Der Tag, an dem sich alles veränderte, unterschied sich zunächst in nichts von allen anderen gleichförmigen Tagen, die vorangegangen
waren. Ein milder Frühlingstag war es. Der Wind hatte noch kalte Spitzen, die Sonne war noch bleich und die Erde noch feucht.
Aber was heranwuchs, trug bereits seinen Duft übers Land, die Natur wurde bunter und das Leben leichter. Ob Arminius das alles
spürte, wusste niemand, aber in Inaja erwachte neuer Lebensmut. Weil sie unbedingt den Winter, die Kälte, die Dunkelheit hinter
sich lassen wollte, redete sie sich ein, ihre Herrin habe zu gegebener Zeit eine Hoffnung gesät, die nun bald zu ernten war.
Dass diese Hoffnung auch mit Flavus zusammenhängen konnte, diesen Gedanken verbot sie sich. Besser war es, nicht mehr an ihn
zu denken, da alles dafür sprach, dass sie ihn niemals wiedersehen würde. Gelegentlich kam es ihr sogar so vor, als wäre es
gut, dass sie seine Bitte nicht hatte erfüllen können. Der Weg nach Rom war damit zwar abgeschnitten worden, doch immerhin
hatte sie keine Schuld auf sich laden müssen. Ihr Gewissen war rein geblieben. Und je öfter sie sich einredete, dass dies
ein großes Glück war, desto sicherer glaubte sie es.
Sie hatten gerade ihr Mittagessen eingenommen und saßen träge beieinander – da erscholl der Ruf über die Teutoburg: »Ein Kurier!
Ein Bote aus Rom!«
»Aus Rom?« Inaja stand schon in der Tür, ehe der Wächter |365| das Wohnhaus des Fürsten erreicht hatte. Er war so atemlos,
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