Die Frau des Germanen
solchen Ungehorsam
schrecklich war.
Später, als Thusnelda ihr dankte, sagte Gaviana: »Ich habe die schlimmste Strafe bereits bekommen. Nicht, weil ich ungehorsam
war! Nein, ich bin nie ungehorsam gewesen.«
»Wofür bist du dann bestraft worden?«
»Dafür, dass ich meine Herrin schwach gesehen habe.«
Nähere Erklärungen wollte sie nicht geben. »Vielleicht später. Jedenfalls habe ich keine Angst mehr vor Strafen.«
|354| Manchmal sagte sich Thusnelda, dass sie sich an dem festhalten musste, was sie hier Gutes erlebte. Es war nicht viel, aber
es kam ja nur darauf an, welches Gewicht sie dem Guten verlieh, damit all das Grauen leichter wog. Und Gutes hatte sie nicht
nur von Gaviana erfahren, nein. Sie würde nie die kleine, weiche Hand vergessen, die sich in ihre geschoben hatte, als sie
unter einer Wehe aufstöhnte, die kleine, weiche Hand, die sie streichelte, das zarte Stimmchen, das ihr etwas vorsang, was
sie trösten sollte. Wie war die harte, ungerechte Severina nur an diesen weichherzigen Sohn gekommen? Als Thusnelda die Augen
aufschlug, saß der kleine Silvanus noch immer neben ihr und sah sie mitleidig an. Begriff er, was mit ihr geschah? Nein, das
wohl nicht. Er sah nur, dass sie litt, und tröstete sie, so gut er konnte. Thusnelda sah in seine blauen Augen und versuchte,
sein blondes Haar zu ertasten, bevor die nächste Wehe kam. Was für ein wunderbares Kind! Thusnelda konnte nicht ahnen, dass
sie sich die Frage stellte, die seit Silvanus’ Geburt auch von der römischen Gesellschaft gedreht und gewendet wurde: Wie
kam Severina an dieses blonde, blauäugige Kind?
Severinas Gäste hatten sich mittlerweile dem Spiel zugewandt. Sie waren satt, der Wein hatte ihre Zunge schwer gemacht, die
Gespräche auf den Klinen waren schlüpfrig geworden, leichtsinnige Scherze flogen hin und her, wenn der eine oder andere für
Augenblicke vergessen hatte, dass der Kaiser und seine Mutter mit am Tisch lagen. Zeit für Spiele also, ehe sich einer um
Kopf und Kragen redete, etwas verriet, behauptete oder weitergab, was er am nächsten Tag bereuen würde.
Am Tisch des Kaisers wurde gewürfelt. Livia, die Kaisermutter, hatte um das Brett fürs Soldatenspiel gebeten und sich Agrippina
als Mitspielerin ausgesucht. Gaviana brachte das Brett und die 32 Spielsteine aus buntem Glas, die dazu gehörten. Sie wurden
über horizontale und vertikale Linien gezogen mit dem Ziel, dem Gegner möglichst viele Steine abzunehmen oder sie einzuschließen
und bewegungsunfähig zu machen.
|355| Severina entschuldigte sich beim Kaiser, gab Flavus einen Wink und ging ihm voran ins Atrium. Die Nacht war süß und schwer,
kein Vogel regte sich, nur gelegentlich raschelte es im Gras. Der Wind bewegte müde ein paar Blätter, die Fackeln, die den
Garten beleuchteten, zuckten nicht einmal.
Flavus griff nach Severinas Arm, kaum dass sie ein paar Schritte ins Atrium hinein gemacht hatte. »Ich hatte Euch gebeten,
mich nicht mit meiner Schwägerin zu konfrontieren.«
Severina lächelte spöttisch. »Skrupel? Die stehen Euch nicht, mein Lieber!«
»Und Euch würde etwas mehr Anstand recht gut stehen!« So heftig, so unverblümt hatte Flavus noch nie mit Severina gesprochen.
»Anstand? Dass Ihr dieses Wort überhaupt kennt! Jemand, der losgezogen ist, seinen Bruder umzubringen.«
»Jemand, der es nicht getan hat!«
»Weil er zu feige war!« Severina wandte ihm den Rücken zu und ging in die Dunkelheit des Atriums hinein, wo nur wenige Fackeln
standen. »Wie es scheint, ist Euer Wunsch, mich zu heiraten, nicht besonders ausgeprägt.«
Flavus folgte ihr mit schnellen Schritten. »Das stimmt nicht. Ich liebe Euch, das wisst Ihr. Es ist mein größter Wunsch, Euch
zu meiner Gemahlin zu machen.«
Severina drehte sich so plötzlich zu ihm um, dass Flavus wie angewurzelt stehen blieb. »Und warum seid Ihr dann unverrichteter
Dinge aus Germanien zurückgekehrt? Weil irgendein dummes Weib es nicht geschafft hat, Arminius Gift in den Met zu mischen!«
»Ich habe Euch doch erklärt …«
»Warum habt Ihr es nicht selbst getan?«
»Auch das habe ich Euch erklärt. Ich kann nicht mit eigener Hand meinen Bruder töten. Ich habe es einfach nicht fertiggebracht!«
Flavus machte ein paar Schritte hin und her, er wagte nicht, Severina ins Gesicht zu sehen. »Außerdem … ich durfte nicht in
Verdacht geraten. Eigentlich war mein Plan gut. Ich |356| hätte dafür gesorgt, nie allein zu sein, während
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