Die Frau des Germanen
machte sich
auf nach Rom! Was Hilger nicht geschafft hatte, gelang nun |399| ihr. Wie dankbar war sie dem Schicksal, das ihr diesen Wunsch erfüllte!
Sie betrachtete die Frauen, die neben ihr saßen. Sklavinnen! Bald würde sie selbst die Herrin vieler Sklavinnen sein und in
einem gut gepolsterten Reisewagen sitzen wie die edle Severina.
Flavus hatte es ihr versprochen. »Aber diesmal muss alles gut gehen«, hatte er gesagt. »Das ist deine letzte Chance.«
Und diesmal war alles gut gegangen. Flavus konnte zufrieden mit ihr sein. Als sie am frühen Morgen in sein Zelt geschlüpft
war, hatte er ihr gezeigt, wie zufrieden er war. Nur daran hatte sie gedacht, als sie sich während der Nacht in die Teutoburg
schlich. Sie kannte die Schlupflöcher, sie wusste, wie man ungesehen in die Burg kam, dass sie am Fuß der alten Eiche nur
einen schweren Stein beiseiteschieben musste, damit sich das Loch im Gemäuer auftat, das für Inaja groß genug war.
Das Gefühl, fremd zu sein, war in dieser Nacht noch intensiver gewesen als hier auf dem Ochsenkarren, in dieser fremden Gesellschaft,
vor einem fremden Weg mit einem Ziel, das ihr noch fremd war. Dass sie heimlich an den Ort zurückkehrte, der ihr Zuhause gewesen
war, hatte das Vertraute fremd gemacht. Und die Angst, die sie gerade dort überfiel, wo sie viele Jahre sicher gewesen war,
hatte ihr Übriges getan.
Sie wusste, dass sie mit ihrem Leben spielte. Wenn man sie bei lebendigem Leibe im Moor versenkt hätte, wäre wohl ihr letzter
Gedanke gewesen, dass es sich für das große Ziel gelohnt hatte. Sie musste das Risiko einfach eingehen, niemals hätte sie
sich verziehen, wenn diese Gelegenheit ungenutzt geblieben wäre. Die Reue, den Weg nach Rom verpasst zu haben, wäre quälender
gewesen als die Reue, einen falschen, einen tödlichen Entschluss gefasst zu haben. Daran glaubte Inaja ganz fest.
So hatte sie nicht gezögert, als Flavus seine Bedingung gestellt hatte. »Wenn du mit nach Rom willst, dann musst du tun, was
dir das letzte Mal nicht gelungen ist. Wir werden erst nach Rom zurückkehren, wenn der Beweis erbracht ist, dass Arminius
nicht mehr lebt.«
|400| Dann hatte er ihr gestanden, dass er seinem Bruder gefolgt war, ohne ihn anzugreifen. Er hatte es einfach nicht fertiggebracht.
Ob aus Angst, weil er sich selbst seinem schwerverletzten Bruder noch unterlegen fühlte, oder aus Skrupel, schien er selber
nicht genau zu wissen. Jedenfalls hatte er zugesehen, wie Arminius in der Teutoburg verschwand, ohne etwas dagegen zu tun.
Inaja hatte gefragt, warum die edle Severina sich Arminius’ Tod wünschte, aber Flavus hatte ihr keine Erklärung dafür gegeben.
»Das verstehst du nicht.«
Nur, dass die edle Severina eigens zu diesem Zweck nach Germanien gereist war, hatte er ihr verraten. Und auch, dass er geglaubt
hatte, sie mit der Unwahrheit abspeisen zu können.
»Ich dachte, sie glaubt mir, wenn ich ihr sagte, dass Arminius tot ist. Aber sie will einen Beweis. Am liebsten seinen Kopf.«
Inaja hatte ihn erschrocken angestarrt. »Ich soll …«
Flavus hatte jedoch abgewinkt. »Wenn Arminius wirklich tot ist, wird es sich bald herumsprechen. Überall wird man von nichts
anderem reden. Dann wird es keinen Zweifel mehr geben.«
Als Inaja nachts in Flavus’ Zelt schlüpfte, war sie stolz und glücklich gewesen. Das Gift war in Arminius’ Silberbecher. Wenn
er am Morgen sein erstes Honigwasser trank, würde der letzte Tag seines Lebens anbrechen. Da sonst niemand diesen Becher benutzen
durfte, musste ihr Plan gelingen.
Dass sie beobachtet worden war, als sie zu Flavus zurückkehrte, erzählte sie ihm nicht. Die edle Severina war es gewesen,
die den Sonnenaufgang betrachtet und ihr ein amüsiertes Lächeln und einen wissenden Blick nachgeschickt hatte. Inaja wusste
nicht, was das für Flavus bedeutete, deshalb schwieg sie. In Rom waren die Sitten locker, das wusste man auch in Germanien.
Also würde es wohl kein Problem sein, dass Flavus in seinem Zelt die Dienstmagd empfing, die am Abend vorher darum gebeten
hatte, sich dem Tross der Händler anschließen zu dürfen, um nach Rom zu gelangen.
|401| Wieder kamen ihnen Bauern entgegen, die auf dem Weg zur Teutoburg waren. Opfergeschenke trugen sie in ihren Händen, ihre Gesichter
waren ernst und traurig, manche von ihnen weinten sogar.
»Wir sind auf dem Weg zu unserem Fürsten, um ihm die letzte Ehre zu erweisen!«
Der Bauer, bei dem sie Quartier bezogen
Weitere Kostenlose Bücher