Die Frau des Germanen
bog die Zweige auseinander und beobachtete die Römer. Anscheinend warteten sie auf jemanden. Auf Flavus? Vielleicht
auch auf die Römerin, die in der Nähe der Waldlichtung ihren Planwagen stehen hatte. Inaja beschloss, sich auf jeden Fall
verborgen zu halten. Bis sie wusste, was sie erwartete, wenn sie sich blicken ließ …
Wütend lief Severina am Rande der Lichtung hin und her und sah sich immer wieder nach Gaviana um. »Du dummes Weib! Hast du
mit Thusnelda Freundschaft geschlossen? Bildest dir womöglich noch etwas darauf ein, mit einer Fürstin befreundet zu sein?
Hast du vergessen, dass sie auch nur eine Sklavin ist? Genau wie du? Nun gut, jetzt weiß Arminius also, dass sie noch lebt!
Und? Was hat er davon? Seine Zeit ist abgelaufen, und was |397| mit seinem Begleiter geschieht, ist vollkommen gleichgültig. Flavus kennt sich in diesem Wald genauso gut aus wie sein Bruder.
Er wird ihn stellen, und es wird für ihn ein Leichtes sein, Arminius zu besiegen. Du hast doch gesehen, dass er angeschlagen
ist. Diese Kopfwunde dürfte keine Kleinigkeit sein. Flavus wird ihn bald eingeholt haben und mit Arminius’ Kopf zurückkehren.
Der Kaiser verlangt danach. Er will einen Beweis! Es wäre mir ein Vergnügen, Arminius’ Kopf dem Senat zu präsentieren. So
wie damals der armselige Legionär, der Varus’ Kopf brachte. Andererseits … die Fahrt von Germanien nach Rom ist lang. Wer
weiß, was unterwegs mit diesem Kopf passiert! Womöglich lockt er wilde Tiere an. Aber der Kaiser wird sich auch mit einem
anderen Beweis zufriedengeben. Hauptsache, er kann sicher sein, dass der Verräter nicht mehr lebt.« Sie ging zu Gaviana und
stieß an deren Fußspitze. »Obwohl es natürlich nett gewesen wäre, auch deiner neuen Freundin den Kopf ihres Gatten zu präsentieren.«
Severina kicherte boshaft. »Aber auch das spielt letztlich keine Rolle.« Sie blieb vor Gaviana stehen, betrachtete sie, dann
trat sie ihr so kräftig in die Beine, wie sie konnte. »Was du getan hast, war dumm. Nichts hast du damit erreicht! Gar nichts!
Es hat sich nichts geändert!« Angewidert spuckte sie Gaviana ins Gesicht. »Nichts!«
Sie wollte noch einmal zutreten, hielt aber plötzlich inne. Das Schnauben eines Pferdes war zu hören, auf der anderen Seite
der Lichtung gab es Bewegung im Unterholz, die nicht vom Wind herrühren konnte. Ein Reiter erschien und hielt direkt auf sie
zu.
Als Flavus vom Pferd stieg, trat sie ihm lächelnd entgegen. »Habt Ihr Eure Aufgabe erfüllt?«
Flavus sah sie nicht an, während er antwortete: »Ihr seid frei, schöne Severina. Sobald wir wieder in Rom sind, können wir
heiraten.«
»Wo ist der Beweis?«
»Es gibt keinen.« Flavus wandte sich ab und beschäftigte sich mit seinem Pferd. »Ich konnte keinen Beweis mitbringen.«
|398| Severina trat näher an ihn heran, griff nach seinem Arm und zwang ihn, sich zu ihr umzudrehen. »Warum nicht?«
»Es war nicht nötig, ihn zu töten. Als ich ihn kurz vor der Teutoburg erreichte, fiel er tot vom Pferd. Seine Kopfverletzung
…«
»Ich will einen Beweis!«
Flavus sah sie lange nachdenklich an, dann fragte er: »Ist Euch mein Wort nicht genug? Oder ist es dem Kaiser nicht genug?«
Severina beantwortete seine Frage nicht. »Ihr solltet mir seinen Kopf bringen.«
»Das war nicht möglich. Bevor ich Arminius erreichte, öffneten sich die Tore der Teutoburg, und die Wärter kamen heraus. Sie
haben Arminius’ Leichnam in die Burg geholt. Ich musste unverrichteter Dinge zurückkehren.« Er machte ein paar Schritte auf
den Planwagen zu, als wollte er sich vergewissern, dass Silvanus ruhig schlief. Dann blieb er erschrocken stehen. »Was ist
mit Eurer Sklavin passiert?«
»Was schon? Ich habe einen Eurer Männer angewiesen, ihr die Kehle durchzuschneiden. Oder glaubt Ihr, es bleibt ungestraft,
was sie getan hat?«
Als Flavus wortlos vor Gavianas Leiche stehenblieb und auf sie hinabsah, trat Severina hinter ihn und berührte sanft seinen
Arm. Zärtlich tanzten ihre Fingerspitzen hinab bis zu seinen Händen. »Nur den Beweis, Flavus, dann werden wir nach Rom zurückkehren.
Sobald ich ganz sicher sein kann, werden wir aufbrechen.«
»Ich habe Euch doch gesagt …«
»Das reicht mir nicht«, unterbrach Severina. »Ich muss ganz sicher sein. Und dafür brauche ich mehr als nur Eure Zusicherung.«
24.
I naja war die Letzte, die sich auf den Ochsenkarren setzen durfte. Erst in diesem Augenblick stand es fest: Sie
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