Die Frau des Germanen
lachte nie wieder. Sie war in der Nähe, als Severina seinen Heiratsantrag ablehnte. »Ihr habt es mir versprochen, schöne
Severina! Ich habe getan, was Ihr verlangt habt!«
»Ihr?« Severinas Stimme war voller Hohn gewesen. »Ihr habt Euren Bruder davonkommen lassen. Zu feige für einen Zweikampf!
Zu schwach! Ein Weib habt Ihr geschickt, um den Widersacher loszuwerden! Mit Gift töten Weiber, keine Männer! Kein römischer
Offizier! So einen soll ich heiraten? Ihr könnt froh sein, wenn der Kaiser nichts davon erfährt.« Severina hatte sich so dicht
vor Flavus hingestellt, dass es aussah, als wollte sie ihn anspucken. »Aber er wird es erfahren, wenn Ihr weiter auf Heirat
drängt, das verspreche ich Euch. Ein Mann, der seinen |407| Bruder mit Gift beseitigen lässt … Tiberius wird Euch verachten. So, wie ich Euch verachte.«
»Gift? Was redest du da, Inaja?«
Hermut! Ach, Hermut! Nun ist sie wieder da, die Erinnerung an eine Zeit, die so weit zurückliegt, dass sie zu einem anderen
Leben zu gehören scheint. Das Leben auf der Teutoburg! Ja, sie hat Arminius das Gift gegeben. Sie musste es tun, es war Flavus’
Bedingung. Aber die edle Severina hätte nichts davon erfahren dürfen. Das hat alles kaputt gemacht. Flavus’ Hoffnungen, alles.
Eine dumme Dienstmagd! Sie hat bewiesen, dass sie nichts wert ist.
Die Strafe war schrecklich. Seitdem kann sie nicht mehr richtig laufen. Die Fußsohlen zerschnitten, sie wollen nicht heilen.
Immer wieder Salz in die Wunden, dann heilen sie nicht. Nur humpeln kann sie und nur auf Zehenspitzen. Ans Weglaufen ist nicht
mehr zu denken. Weglaufen? Wohin?
»Du, Inaja? Du warst das? Du hast Arminius das Gift gegeben?«
Dann die Hochzeit mit der dicken Salvia. Flötenspieler, Fackelträger, Festmahl. Und wieder dieser Hass! Nein, Flavus liebt
seine Gemahlin nicht, aber das macht es nicht leichter. Lieben kann er nur Inaja. So lieben, wie er will. Und Salvia weiß
das. Sie sieht, dass Flavus seine Sklavin in sein Schlafzimmer holt. Sie sieht das Blut, die Bisse, die Striemen. Salvia kann
so nicht lieben. Sie ist nicht richtig für Flavus. Richtig ist nur Inaja. Trotzdem will er sie nicht.
»Inaja! Wovon redest du?«
Hass! Er tut gut. Er hält sie aufrecht. Aber dann der Tag, an dem sie Salvia zum Einkaufen begleiten muss. So wie die andere
Sklavin. So wie … Thusnelda! Sie folgt der edlen Severina. Hält einen Schirm über sie, damit die schöne Römerin nicht von
der Sonne geblendet wird. Thusnelda, ihre Herrin! Eine Sklavin wie Inaja!
Nun beginnt der Hass zu quälen. Es darf nicht sein, wie es ist. Sie muss es ändern. Das Schicksal hat sich geirrt, es muss |408| korrigiert werden. Sie hat es schon einmal getan. Arminius starb, als sie es wollte. Salvia würde auch sterben …
Hermut rüttelte am Gitter, griff hindurch, in ihre Haare, in ihr Gesicht. Er schluchzte, schlug mit der Stirn auf die Gitterstäbe.
»Was hast du getan? Warum Arminius?«
Aber diesmal gelingt es nicht. Sie wird beobachtet. Eine andere Sklavin verrät sie. Und Salvia sorgt dafür, dass sie zum Tode
verurteilt wird. Für sie nur der Wink einer Hand. Für Flavus’ Gemahlin eine Kleinigkeit. Und eine Freude.
Angst! Diese schreckliche Angst. Und Flavus tut nichts dagegen. Obwohl niemand ihn so lieben kann wie sie …
Kaiser Tiberius war alt geworden. Hässliche Geschwüre bedeckten sein Gesicht, und viele fragten sich, ob sie der Grund für
seine permanente Missstimmung oder ob die Geschwüre ein Ausdruck seiner Griesgrämigkeit waren. Neben ihm saß Severina. Auch
sie war älter geworden, reifer, ihr Körper hatte seine Leichtigkeit verloren, ihr Gesicht war müde geworden. Ihre Augen jedoch
sprühten immer noch, waren lebendig wie eh und je. Und noch immer war sie eine schöne Frau. An ihrer rechten Seite saß ihr
Gatte Antonius Andecamus, groß, stattlich, selbstzufrieden, an ihrer linken ein schöner junger Mann, blond und blauäugig.
Silvanus hatte es schon weit gebracht. Kaum war das Mindestalter erreicht, hatte Tiberius ihn zum Senator gemacht und ihm
sein erstes politisches Amt übertragen. Als Quästor war er für die Getreideversorgung Roms zuständig, ein Amt, das auch Kaiser
Tiberius in jungen Jahren bekleidet hatte. Silvanus hatte eine sorgfältige und gründliche Erziehung hinter sich. Gelehrte
Sklaven hatten sich um seine Bildung gekümmert. Er kannte sich in griechischer und lateinischer Literatur aus, war in Philosophie,
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