Die Frau des Germanen
hatten, war als Erster mit der Nachricht gekommen. Ein Wärter der Teutoburg hatte
sie gebracht. »Nach dem Frühstück ist dem Fürsten plötzlich übel geworden. Er musste sich wieder zu Bett begeben. Von da an
sickerte das Leben aus ihm heraus. Er wurde schwächer und immer schwächer, und wenig später schloss er für immer die Augen.
Die Kopfverletzung, mit der er heimkehrte, war anscheinend schwerer, als es zunächst den Anschein hatte.«
Von da an verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer. »Unser Fürst ist tot!«
Da war er, der Beweis! Flavus hatte Inaja ein anerkennendes Lächeln gegönnt, und merkwürdigerweise hatte auch die edle Severina
zufrieden in ihre Richtung genickt. Als der Tross sich zum Aufbruch fertigmachte, war Inajas Glück vollkommen. Erst später,
viel später dachte sie daran, dass sie Arminius und Thusnelda einmal ihre Zukunft genannt hatte.
Das war, als die edle Severina sie eines frühen Morgens zu sich rufen ließ. Diesmal hatten sie in einer Handelsstation übernachtet,
bald würden sie am Rhein sein und beim Kastell Castra Vetera ein Schiff besteigen, das sie, zusammen mit allen möglichen Waren
des täglichen Bedarfs, gen Süden bringen sollte. Rom entgegen! Am Fuß der Alpen würde sie entlangziehen Richtung Inntal, das
hatte Flavus ihr mit einem hochmütigen Lächeln erklärt, weil er nicht glaubte, dass sie verstand, was er ihr auseinandersetzte.
Aber Inaja hatte sich alles genau gemerkt. Und was er ihr von der Überquerung der Alpen erzählt hatte, war so ungeheuerlich,
dass sie sich alles von den Händlern, die schon oft den Weg über den Reschenpass gezogen waren, bestätigen ließ. Schnee würden
sie zu sehen bekommen! So kalt war es dort |402| oben, dass die Luft gefror und der Regen in dicken weißen Flocken zur Erde fiel. »Aber danach wird alles einfacher«, hieß
es. »Der Weg nach Pisa ist leicht.« Dort würden sie erneut ein Schiff besteigen, das sie nach Ostia, in den Hafen Roms, bringen
sollte. Inaja würde am Ziel sein!
Severina stand unter den Kolonnaden, die sich um das ganze Gebäude herumzogen. Hinter jedem Kolonnaden-Bogen öffnete sich
ein Tor zum Lagerraum. Vor vielen standen Pferdefuhrwerke, die beladen wurden. Geschäftige Betriebsamkeit herrschte überall.
Die schöne Römerin scherte sich nicht um die Arbeit, die um sie herum erledigt wurde, und auch nicht darum, dass sie überall
im Wege stand. Sie wirkte wie ein Fremdkörper in dieser Umgebung, von allen wurde sie scheu betrachtet, aber niemand sprach
sie an. Nicht einer bat sie, sich einen anderen Platz für eine Unterhaltung zu suchen, obwohl man sah, dass jeder es gern
getan hätte.
Severina betrachtete Inaja mit einem Lächeln, das die Dienstmagd unsicher machte. Natürlich kannte sie Severinas Überheblichkeit
längst und wusste, dass sie keine Freundlichkeit von ihr erwarten konnte. Aber dieses Lächeln war so, als wäre sie nicht einmal
wert, von der schönen Römerin beleidigt zu werden. Inaja war auf das Schlimmste gefasst.
»Bist du sicher«, fragte Severina, ohne sie anzusehen, »dass du nach Rom willst? Noch ist Zeit umzukehren.«
Inaja schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht umkehren. Und ich will nach Rom. Das wollte ich schon immer.«
Nun wandte Severina sich ihr zu. »Ich weiß, dass eine Germanin nicht selbst bestimmen kann, wohin sie geht und wie sie leben
will. Warum du?«
Inaja wurde nervös, ihre Handflächen begannen zu schwitzen. Sie merkte, wie ihr Gesicht rot anlief. »Ich habe keine Eltern
mehr«, gab sie zurück. »Und verheiratet bin ich nicht. Es gibt niemanden, der mir Vorschriften machen kann.«
»Wovon willst du leben, wenn du in Rom bist?«
»Ich werde arbeiten.«
|403| »Obwohl du die Sprache der Römer nicht beherrschst?«
»Ich werde sie lernen.«
Severina lächelte verächtlich. »Ich kann mir denken, was Flavus dir versprochen hat. Und vor allem – wofür!«
Inaja sah sie ängstlich an. Was wollte die edle Severina damit sagen? Was wusste sie?
»In der Nacht, bevor Arminius’ Tod bekannt wurde, habe ich dich gesehen.«
Inaja nickte beschämt und senkte den Blick. Das war es also! Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ihr Unsittlichkeit vorgehalten
werden könnte.
Severina hatte jedoch etwas anderes im Sinn. »Du warst in der Teutoburg, um Arminius Gift in seinen Becher zu tun. Habe ich
recht?«
Inaja stand da wie erstarrt. Wie konnte die edle Severina davon wissen? Was sollte sie antworten?
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