Die Frau des Germanen
können, dann auf ihre Schönheit! Und wenn sich
das plötzlich geändert hatte, dann konnte nur Terentilla daran schuld sein. Die neue Sklavin taugte nichts.
Ob es tatsächlich ein Fehler gewesen war, Gaviana an ein Bordell zu verkaufen? Als ihre Sklavin sich erdreistet hatte, ihren
Schmerz mitzuerleben und ihr sogar Trost zuzusprechen, war Severina sicher gewesen, dass sie Gaviana keinen Augenblick länger
in ihrer Nähe ertragen würde. Ihre Tränen hatten sie nicht gerührt, als Gaviana begriff, was mit ihr geschehen würde. Nein,
sie musste Severina aus den Augen gehen! Niemand durfte die Enkelin des Kaisers schwach und verletzlich sehen! Und Gaviana
hätte sie ständig daran erinnert, dass es einen Mann gab, der die schöne Severina schwach und verletzlich gemacht hatte. Wie
sollte sie unter den Augen ihrer Sklavin je wieder stark und unbesiegbar sein?
Agrippina konnte nicht begreifen, warum Gaviana, auf deren Hilfe Severina bisher keinen Augenblick verzichtet hatte, plötzlich
in Ungnade gefallen war, aber Severina verriet ihr nicht, was die Sklavin ihr angetan hatte. Agrippina würde es ja doch nicht
verstehen. Wahrscheinlich würde sie sogar behaupten, Gaviana könne gar nichts dafür, dass sie zufällig zugegen gewesen war,
als Severina vor Verzweiflung geweint hatte. Und was noch schlimmer war … Agrippina würde fragen, warum Severina geweint hatte.
Nein, Gaviana musste weg! Und in einem Bordell war sie am weitesten weg. Niemand würde etwas von Severinas Tränen erfahren.
Gaviana würde keine Gelegenheit haben, jemandem zuzutuscheln, was sie beobachtet hatte.
Als Terentilla sich vorsichtig näherte, waren gerade die ersten Gladiatoren zum Kampf in der Arena erschienen. Das übliche
Spektakel! Zwei junge Sklaven, die von ihren Herren verkauft worden waren, weil sie nicht mehr gebraucht wurden oder weil
sie sich unbeliebt gemacht hatten. Nun gingen sie so verzweifelt |125| aufeinander los, als glaubten sie tatsächlich an eine Chance, diesen Tag zu überleben.
Severina gähnte. Dass sie angesprochen wurde, kam ihr entgegen. So nahm sie den Schrei des Gladiators, dem soeben die Lanze
seines Gegners den Bauch aufgerissen hatte, nur am Rande zur Kenntnis. Das Geschrei dieser jämmerlichen Kreaturen, die dort
nicht wirklich kämpften, sondern sich wehklagend abschlachten ließen, ging ihr auf die Nerven. Warum sorgte der Kaiser nicht
dafür, dass sämtliche Gladiatoren in der Arena auf stilvolle Weise starben? Ohne unnützen Lärm und erst nach einem langen
Kampf mit vielen grausamen Verletzungen und attraktiven Qualen! Das konnte man als anspruchsvoller Zuschauer doch wohl erwarten!
Nun grölte das Volk sogar, auf sämtlichen Rängen zeigten die Daumen nach unten. Der Kaiser hielt die Hände im Schoß gefaltet,
seine Geste war nicht mehr erforderlich. Er nickte nur dem tiefschwarz gekleideten Kerl zu, der im Hintergrund bereitstand,
damit er dem unterlegenen Gladiator den Todesstoß versetzte.
Angeekelt wandte Severina sich ab. »Was ist los, Terentilla?«
»Ein Mann ist angekommen«, flüsterte ihre Sklavin. »Ein Kurier. Er sagt, er muss Euch sprechen. Sofort! Es sei wichtig.«
Die Langeweile fiel augenblicklich von Severina ab. »Kommt er aus Germanien?«
»Ja. Er sagt, er hätte eine wichtige Mission für Euch erfüllt. Und Ihr hättet ihm aufgetragen, sofort nach seiner Rückkehr
bei Euch vorzusprechen. Egal, wann und wo.«
Severina nickte zu Terentillas Erleichterung. »Wo ist er?«
»Er wartet am vierzigsten Eingang«, gab Terentilla zurück. »Er hat gesagt, alle Eingänge wären nummeriert.«
»Das weiß ich selber!« Severina erhob sich. Prompt wurde sie von Agrippina fragend angesehen. Wie sie die Fürsorge ihrer Schwägerin
hasste! Germanicus’ misstrauischer Blick war leichter zu ertragen als Agrippinas besorgte Miene. Sie strafte beide, indem
sie sie im Unklaren ließ, wohin sie ging, als sie die kaiserliche Loge verließ.
|126| Thusnelda träumte. Mit offenen Augen saß sie da, starrte auf Inajas Rücken, sah aber nichts außer der Vergangenheit, in der
sie glücklich gewesen war. Während die Dienstmagd das Schweigen nicht länger ertragen und das Brombeerenpflücken fortgesetzt
hatte, war Thusnelda außerstande, sich in die Gegenwart zu fügen oder gar nach der Zukunft zu fragen. Nur die Vergangenheit
zählte, diese Vergangenheit von wenigen Wochen. In dieser kurzen Zeit hatte sie Arminius kennengelernt wie keinen anderen
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