Die Frau des Germanen
schminken lassen, weil sie wusste, dass sie elend aussah und nicht auf die gesunden Farben vertrauen konnte, die
ihr die Natur geschenkt hatte. Terentilla, ihre neue Sklavin, hatte deshalb ihre Haut mit einem Gemisch aus Kreide und Schweinfett
aufhellen müssen, bis ihr Gesicht unnatürlich weiß und ihre Blässe darunter verschwunden war. Severina merkte nicht, dass
Terentilla sie besorgt beobachtete. So ahnte sie auch nicht, dass das Rot der Weinhefe, mit dem die Sklavin ihre Lippen gefärbt
hatte, in den Mundwinkeln verschmiert war |120| und der Antimonpuder, mit dem Terentilla ihre Wimpern und Augenbrauen geschwärzt hatte, zu dick aufgetragen war. Er verdunkelte
ihren Blick, als trüge sie Trauer, und verbarg ihre schönen Züge hinter abweisender Schwärze. Terentilla sah es, wagte aber
nicht, am Gesicht ihrer Herrin etwas zu verändern, das Rot aus ihren Mundwinkeln zu wischen oder den schwarzen Puder von ihren
Unterlidern, wo er gelandet war, nachdem Severina mehrmals nachdrücklich den Kopf geschüttelt hatte. Terentilla war voller
Sorge. Hoffentlich machte niemand Severina darauf aufmerksam, dass sie früher besser geschminkt worden war. Sie würde auf
der Stelle vergessen, dass sie selbst es gewesen war, die viel Kreide und kräftiges Lippenrot verlangt und außerdem gefordert
hatte, dass der schwarze Antimonpuder dick aufgetragen wurde. Terentilla hatte große Angst, dass sie noch heute dort landen
würde, wo Gaviana seit ein paar Tagen ihr Leben fristete.
Mürrisch betrachtete Severina die männlichen Zuschauer auf den unteren Rängen, die allesamt zu den reichsten und angesehensten
Bürgern zählten. Der Eintritt zu den Spielen war für das Volk eigentlich frei, die gewaltigen Kosten dafür trug der Kaiser.
Sie machten ihn beliebt, das Volk konnte hier Dampf ablassen, und damit verringerte sich die Gefahr von Unruhen und Aufständen.
Für die begehrten Plätze in der ersten Reihe jedoch wurden enorme Eintrittsgelder verlangt. Dort saßen daher nur reiche Kaufleute
und hohe Offiziere mit ihren Familien. Auf den unteren Rängen glitzerte mehr Gold und Silber als auf allen anderen zusammen.
Severina wandte den Blick jedoch bald wieder ab. Kein einziger der Männer, die dort saßen, gefiel ihr. Bestenfalls Antonius
Andecamus, der immer wieder ihre Aufmerksamkeit suchte. Anscheinend machte er sich nach wie vor Hoffnungen auf ihre Gunst,
weil Germanicus ihn ermutigt hatte. Aber da konnte er lange warten! Severina war wählerisch. Reich musste ein Mann nicht sein,
reich war sie selber. Schön sollte er sein und anders als alle anderen. Vor allem durfte er keiner sein, der vor ihr buckelte. |121| Nein, stolz musste der Mann sein, dem Severina ihr Herz schenkte. Ein wahrer Held! Ein blonder Held? Ein germanischer? Severina
warf die schwarzen Locken nach hinten und merkte zum Glück nicht, dass der Antimonpuder bei dieser heftigen Kopfbewegung von
ihren Wimpern krümelte.
Als Antonius Andecamus sich erhob und in ihre Richtung verneigte, wandte sie sich so gelangweilt ab, dass Germanicus ihr einen
zornigen Blick zuwarf. Sollte er sich nur ärgern! Vielleicht begriff er dann endlich, dass Andecamus ihr zwar gefiel, dass
er aber trotzdem nicht ihr Jawort erhalten würde!
Sie schloss die Augen, um Germanicus zu zeigen, dass Andecamus’ Verehrung sie nicht interessierte, sondern nur ermüdete. Als
sie die Augen wieder aufschlug, sah sie auf den Rücken ihres Bruders, der den Sitz getauscht und vor ihr Platz genommen hatte.
Germanicus besaß breite Schultern, einen kräftigen Nacken und einen muskulösen Rücken. Einen schönen Körper hatte er!
Severina erinnerte sich, wie sie auf Arminius’ Rücken gestarrt hatte, als der Kaiser ihn in seine Loge gebeten hatte, um an
seiner Seite den Spielen beizuwohnen. Eine Auszeichnung für einen Barbaren! Auch dann, wenn er zum römischen Offizier geworden
war!
Aber Arminius war nicht stolz auf die Geste des Kaisers gewesen. Severina sah, wie er häufig den Kopf wandte und sich nervös
umblickte. Er schien sich nicht wohlzufühlen. Während die Stimmung in der Arena sich aufheizte, während das Publikum johlte,
tobte, applaudierte oder die Kämpfer verhöhnte, wurde er immer stiller und nachdenklicher. Als der Kaiser wieder den Daumen
nach unten richtete und einem unterlegenen Gladiator eine Lanze in den Brustkorb gerammt wurde, hörte sie, wie Arminius den
Kaiser fragte, woher er die vielen Gladiatoren nahm,
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