Die Frau des Germanen
hinweg. Als er Severina sah, die sich an eine Säule lehnte, als wollte sie nur einen Moment der Ruhe genießen, schob
er Terentilla zur Seite. »Herrin, mein Auftrag ist erfüllt!«
Nun konnte sie sein Gesicht erkennen und war zufrieden. Ja, das war der Mann, den sie nach Germanien gesandt hatte. Dass er
sich verhüllte, war verständlich. Sein Gesicht war von mehreren Wunden entstellt, er war schmutzig und so erschöpft, als sei
er mehrere Tage durchgeritten. Auch sein Pallium sah aus, als trüge er ihn seit Wochen.
»Ich bin von Räuberbanden überwältigt worden«, erklärte er nun. »Sie hausen überall in den germanischen Wäldern. Alles haben
sie mir genommen, was ich bei mir trug. Mein Pallium war das Einzige, was sie mir gelassen haben.«
Severina nickte ungeduldig. »Ist das der Grund, warum du dich verspätet hast?«
Er verbeugte sich tief vor ihr. »Ich lag einen ganzen Tag lang |129| verletzt in einem Dickicht. Zum Glück hat mich ein Bauer gefunden, der im Wald Holz suchte. Er hat mich mitgenommen, und seine
Frau hat mir zu essen gegeben. In ihrer Hütte konnte ich bleiben, bis ich kräftig genug war, meinen Weg fortzusetzen. Sie
glaubten mir nicht, dass ich ein römischer Kurier bin, trotzdem haben sie mir geholfen.«
Severina winkte ab. »Genug! Du kannst morgen in mein Haus kommen und deinen Lohn abholen.«
Wieder verneigte sich der Mann und versicherte, dass er trotz aller Gefahren jederzeit erneut einen Auftrag der schönen Severina
ausführen würde.
»Nun sag mir endlich, ob du alles getan hast, was ich dir aufgetragen habe«, fuhr Severina dazwischen. »Hast du den Papyrus
an Arminius übergeben? Und hast du eine Nachricht von ihm mitgebracht? Oder hast du sie dir etwa von der Räuberbande stehlen
lassen?«
Der Mann sah jetzt so aus, als wollte er am liebsten seine Kapuze wieder tief ins Gesicht ziehen. »Ich habe den Papyrus übergeben,
ganz wie Ihr befohlen habt.«
»An Arminius und an keinen anderen?«
Severina sah nicht, dass grelle Angst über das zernarbte Gesicht des Mannes zuckte. Er hatte sich schnell wieder in der Hand.
»Ja, ich habe es Arminius höchstpersönlich überreicht. So, wie Ihr es verlangt habt.«
»Und? Wo ist seine Antwort?«
»Er hat mir keine mitgegeben.«
Severina lehnte sich wieder an die Säule und amtete tief durch. »Das kann nicht sein.«
»Der Zeitpunkt war ungünstig«, beeilte sich der Kurier zu erklären. »Ich traf während der Beisetzungszeremonie für Fürst Segimer
ein. Die Teutoburg war voller Gäste.«
»Warum hast du nicht gewartet?«
»Man konnte mir kein Quartier geben. Nur mein Pferd durfte ich tränken, danach musste ich mich auf den Rückweg machen.« Der
Kurier gewann an Sicherheit. Im Gesicht seiner schönen |130| Auftraggeberin stand so deutlich zu lesen, was sie von ihm hören wollte, dass er der Versuchung nicht widerstehen konnte.
Und vielleicht würde ja wirklich alles genau so kommen, wie es gewünscht wurde und wie er jetzt in Aussicht stellte. »Er hat
gesagt, er wird Euch antworten, sobald es ihm möglich ist. Er wird …« Er stockte und schien nun das Gefühl zu haben, zu viel
zu wagen, mehr zu riskieren, als er wollte, als gut für ihn war.
Aber schon trat Severina einen Schritt auf ihn zu und fixierte ihn, als wollte sie ihn zwingen. »Was wird er? Persönlich nach
Rom kommen?«
Der Kurier atmete erleichtert auf. »Genau!« Er lächelte. »Ja, das hat er gesagt.«
Severina spürte, dass die Kraft in ihren Körper zurückkehrte, der Augenblick der Schwäche war vorüber. Terentilla ahnte nicht,
dass sie mit ihrem Leben oder zumindest mit ihrer Zukunft spielte, als sie ihre Herrin mitleidig und besorgt ansah und sich
zu überlegen schien, wie Severina zu helfen war. Man hatte ihr nicht verraten, warum ihre Vorgängerin ins Bordell verkauft
worden war, sie konnte daher nicht wissen, wie verhängnisvoll es war, einem wunden Punkt in der Seele der schönen Severina
auf die Spur zu kommen. Aber die hatte zum Glück vollauf damit zu tun, sich ihre Erleichterung nicht anmerken zu lassen, was
einem Eingeständnis ihrer Schwäche gleichgekommen wäre. Sie stieß sich von der Säule ab und richtete ihren Oberkörper hoch
auf. Mit einer Geste, die keine römische Dame so gut beherrschte wie sie, legte sie mit der rechten Hand den rechten Zipfel
ihrer Pallia über die linke Schulter. Dieser Umhang, den sie über ihrer Tunika trug, war aus gelber Seide gefertigt, mit zarten
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