Die Frau des Germanen
Schein der zuckenden Fackeln wirkten sie verzerrt, ihre Bewegungen flossen nicht, sie zuckten, mal schienen sie weit entfernt
zu sein, dann wieder ganz nah. Unwirklich war ihr Erscheinen, wirklich wurde es erst, als die Geräusche zunahmen. Das Schnauben
der Rösser, die Stimmen der Männer und die einer Frau!
Eine Frau? Inaja wagte sich weiter vor. Ja, nun sah sie die Haare einer Frau, die so hell waren, dass man sie im Mondlicht
erkennen konnte. Diese drei späten Besucher konnten mit Fürst Segestes nichts zu tun haben. Thusneldas Vater wäre mit seinen
Kriegern vor der Teutoburg erschienen. Und nicht bei Nacht! Nein, der Fürst war kein Feigling, der eine benachbarte Burg bei
Dunkelheit überfiel.
Die Frau trug ein helles Kleid, auch deshalb war sie besser zu erkennen als die beiden Männer, die in ihrer Begleitung waren.
Ihr dunkler Umhang, mit dem sie sich und das Kind, das sie im Arm hielt, schützte, löste sich. Als sie vor dem Tor der Teutoburg
zum Stehen kam, fiel er zu Boden.
Arminius und Hermut ließen ihre Schwerter sinken und traten aus dem Tor, so langsam, als könnten sie nicht glauben, was sie
sahen.
Da aber kam auch schon Thordis zum Tor gelaufen. Mit ausgestreckten Armen lief sie auf die junge Frau zu und griff nach den
Zügeln ihres Pferdes. »Bist du es wirklich?«
Ja, sie war es wirklich. Wiete, Thordis’ Tochter, Arminius’ Schwester. In ihren Armen hielt sie ein Kind. Inaja sah es gleich:
Das Kind war tot.
Der Sommer hatte seine Leichtigkeit verloren. Schwer hing er über dem Atrium, selbst im Schatten fiel das Atmen schwer. In |170| sämtlichen Räumen des Hauses waren die Windaugen verhängt worden, damit die Sonne nicht eindringen konnte, trotzdem warfen
die Mosaikböden und die Wandkacheln keine Kühle zurück. Das ganze Haus, das gesamte Anwesen hatte sich mit Wärme vollgesogen,
jeder Windhauch wurde sofort von der Hitze absorbiert.
Severina konnte sich nicht entschließen, ob sie im Atrium ruhen wollte, im Peristyl oder im Hause. Zunächst ließ sie sich
auf ihrem Diwan ins Atrium tragen, weil sie sich von dem natürlichen Schatten eines dichtbelaubten Baumes und der Nähe des
kleinen Springbrunnens Erfrischung versprach, dann jedoch entschied sie sich für den Säulengang, in dem sie dreiseitig von
kühlem Marmor umgeben war. Als es ihr auch dort unerträglich erschien, ließ sie sich zunächst in ihr Schlafzimmer tragen,
dann in den Wohnraum und schließlich zurück ins Atrium. Aber wiederum hielt sie es dort nicht mehr aus, als einem der Gärtner,
der in der prallen Sonne arbeitete, plötzlich die Harke aus der Hand fiel und er wortlos zu Boden sank. Angewidert verlangte
Severina erneut, ins Haus getragen zu werden, damit sie nicht zusehen musste, wie die Haussklaven den leblosen Körper entfernten.
Als Terentilla den Besuch Antonius Andecamus’ meldete, hätte sie ihre Haussklavin geschlagen, wenn ihr das bei der Hitze nicht
zu kraftaufwändig gewesen wäre. »Habe ich dir nicht gestern noch gesagt, dass ich in den nächsten Monaten keinen Besuch will?«
Terentilla blieb mit gesenktem Kopf stehen und wartete, bis die Beschimpfungen ihrer Herrin ein Ende hatten und sie erfuhr,
was zu tun war. Ja, gestern Nachmittag hatte Severina tatsächlich angeordnet, dass sie bis zur Niederkunft nicht mehr gestört
werden wollte. Aber schon am selben Abend war sie außer sich vor Wut gewesen, als Terentilla einen Juwelier, der seine neueste
Kollektion vorführen wollte, abgewiesen hatte. Die Sklavin war stoisch geworden im Lauf der letzten Wochen. Ihr war so oft
angedroht worden, über kurz oder lang Gavianas Schicksal zu teilen und an ein Bordell verkauft zu werden, dass sie sich mittlerweile |171| keine Hoffnungen mehr machte, diesem Los zu entgehen. Ob sie versuchte, die Wünsche ihrer Herrin zu erahnen, wie Gaviana es
angeblich vermocht hatte, ob sie sich lächelnd erniedrigen ließ wie ihre Vorgängerin oder versuchte, das Herz ihrer Herrin
mit Tränen zu rühren – an ihren Aussichten würde das nichts ändern. Sie musste jederzeit mit allen Möglichkeiten rechnen.
Terentilla hob den Kopf erst wieder, als es Severina einfiel, dass ein wenig Unterhaltung ihrem Wohlbefinden förderlich sein
könnte. »Schick ihn herein, aber sag ihm gleich, dass ich mich nicht wohlfühle und er nicht lange bleiben kann.«
Sie verzichtete darauf, sich von Terentilla einen Spiegel vorhalten zu lassen. Was spielte es für eine Rolle, wenn
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