Die Frau des Germanen
Andecamus
durch ihr vernachlässigtes Äußeres in die Flucht geschlagen wurde? Ihr Bruder würde sich darüber ärgern, und das war gut so.
Er hatte immer noch nicht begriffen, dass sich durch ihre Schwangerschaft nichts änderte. Sie hatte es nicht nötig, sich nach
einem Ehemann umzusehen, nur weil sie ein Kind erwartete. Wenn Germanicus damit Probleme hatte, dass seine Schwester von einem
Unbekannten schwanger war, dann war das seine Sache. Severina war froh, dass sie sich nicht hatte erweichen lassen, die Identität
des Vaters preiszugeben. Agrippina ließ zwar immer wieder durchblicken, dass man ihr nichts vormachen könne, und sicherlich
waren Germanicus sämtliche Vermutungen seiner Gemahlin bekannt, aber es blieb dabei, dass sie sich auf Wahrscheinlichkeiten
verlassen mussten und nicht auf ihr Wissen verweisen konnten. Ein in diesem Fall nur geringer, aber dennoch grundlegender
Unterschied.
Wieder einmal machte sich die Frage an sie heran, warum es ihr so wichtig gewesen war, Arminius’ Namen zu verschweigen. War
tief in ihr eine Ahnung gewesen? Hatte ihr Gefühl ihr etwas zugeflüstert, was der Verstand nicht hören wollte? Gab es in ihrer
Liebe vom ersten Augenblick an einen Zweifel, aus dem dieser Selbstschutz erwachsen war? Die schöne Severina war |172| keine Frau, die sich zurückweisen ließ! Wenn es trotzdem geschah, durfte wenigstens niemand davon erfahren! Oder … wusste
doch jemand davon? Hatte Agrippina ihre Mutmaßungen als Sicherheiten weitergegeben? Oder hatte Flavus nicht geschwiegen, obwohl
er es versprochen hatte? Severina ballte in ohnmächtiger Wut die Fäuste.
Dann jedoch entspannte sie sich wieder. Nein, Flavus würde sein Wissen fest in sich einschließen, darauf konnte sie sich verlassen.
Nur … wie lange? Sicherlich nicht länger, als er hoffen konnte, dafür belohnt zu werden! Vielleicht hätte sie ihn doch nicht
so strikt zurückweisen sollen. Für die Rache, die Severina wollte, konnte er ein guter Verbündeter sein. Und Rache wollte
sie, so viel stand fest. Hass und Rachedurst erfüllten sie, seit Flavus mit der Nachricht von Arminius zu ihr gekommen war.
Sie würde keine Ruhe finden, ehe sie Arminius nicht heimzahlen konnte, was er ihr angetan hatte.
Antonius Andecamus spreizte sich wie ein Pfau, als er Severina begrüßte und ihr versicherte, dass ihr entzückender Anblick
ihn um den Verstand brächte. Severina sah ihn an, als hätte sie in ein verdorbenes Stück Obst gebissen, und legte das Parfüm,
das er ihr feierlich überreichte, achtlos zur Seite. Dabei hatte sie mit einem Blick erkannt, dass es sich um Balsam aus Judäa
handelte, ein Luxusparfüm, das zu ihren liebsten zählte. Aber Andecamus sollte nicht glauben, dass sie mit kostbaren Geschenken
leicht einzunehmen sei.
Doch er ließ sich nicht anmerken, dass ihr Verhalten ihn kränkte. Unbeirrt fuhr er fort, ihre Schönheit und ihre Anmut zu
preisen, und behauptete, sein Glück sei vollkommen, wenn er ihrer nur ansichtig werde.
Severina gähnte demonstrativ, schloss die Augen und winkte mit kraftloser Geste Terentilla herbei. Mit so schwacher Stimme,
als wäre sie zu erschöpft zum Sprechen, verlangte sie nach einem Löffel Honigsuppe als Mittel gegen ihre Übelkeit.
Zufrieden stellte sie fest, dass Andecamus nun endlich unsicher wurde. »Geht es Euch nicht gut?«
|173| »Natürlich geht es mir nicht gut«, gab sie gereizt zurück. »Ich bin schwanger! Das seht Ihr doch!«
Als Andecamus prompt anhob, ihren gesegneten Leib zu preisen, der ihre Erscheinung nur umso strahlender mache, bedachte Severina
ihn mit einem derart vernichtenden Blick, dass er mitten im Satz abbrach. Nein, so hatte sie sich die Ablenkung durch einen
Verehrer nicht vorgestellt! Von einem angenehmen Zeitvertreib konnte keine Rede sein, wenn Antonius Andecamus seine Aufwartung
machte. Dies würde sein letzter Besuch sein! Wenn Terentilla es noch einmal wagen sollte, ihn vorzulassen, war ihre Zukunft
im Bordell besiegelt.
Obwohl Severina ihn ungnädig entließ, versicherte Andecamus zum Abschied noch einmal, dass es für ihn nichts Schöneres gab
als Severinas Gesellschaft. Und er ging erst, als Terentilla mit der Honigsuppe den Raum betrat und Anstalten machte, ihrer
Herrin einen Löffel einzuflößen.
Severina schickte ihm einen zornigen Blick hinterher. Was war das für ein Mann, der auf seinen Stolz verzichtete, nur um zur
kaiserlichen Familie zu gehören! Bis zur Hochzeit
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