Die Frau des Polizisten
groß, schätzte er. Von zierlichem Körperbau, aber mit ausgeprägten Armmuskeln und einer Haltung, die von hartem Training sprach. Sie hatte widerspenstige Locken, die sie zu einem wuscheligen Pferdeschwanz zusammengefasst hatte, und trug nur einen Hauch von Make-up. Wenn sie lächelte, strahlte ihr ganzes Gesicht, die dunkelblauen Augen blitzten auf und ließen die weißen und blauen Flecken in ihrer Iris funkeln. Aber das tat sie nur selten. Meistens schwieg sie verbissen, hörte zu und nickte.
Konzentriert beobachtete Erika alles, was vor dem Autofenster an ihr vorüberzog, versuchte sich die Orte einzuprägen, an denen sie vorbeikamen, und sich die Himmelsrichtungen in Erinnerung zu rufen. Am liebsten hätte sie mit Erik zusammengearbeitet, aber mit Per ging es sicher auch, nach dem, was Anna über ihn gesagt hatte. Ihr Schweigen schien ihn jedenfalls nicht zu stören.
Erika legte den Kopf schief und musterte aus zusammengekniffenen Augen die beiden glänzenden Hoteltürme am Korsvägen. Ein bleigrauer Himmel verschwamm in den Glasfassaden mit ihrem Spiegelbild. Ihr letzter Besuch in Göteborgwar schon ein paar Jahre her, und sie stellte fest, dass die Stadt sich verändert hatte. Aber das machte keinen Unterschied, sie war ihr genauso fremd wie damals.
»Dort ist die Mercedeswerkstatt, wo sich Barbros Spur verläuft«, erläuterte ihr Per, als sie an einem langgezogenen Industriegebiet vorbeifuhren. Als sie Mölndal erreichten, hatte Erika die Orientierung verloren. Ihre Wangenmuskulatur schmerzte, während sie sich an die Karte von Göteborg zu erinnern versuchte, die sie gemeinsam mit Anna studiert hatte. Per lenkte das Auto derweil geschickt zwischen den Hütchen, Maschinen und Schlaglöchern und allen Bauarbeiten hindurch, die ständig irgendwo im Gange zu sein schienen, vorbei am Zentrum von Mölndal und auf das Industriegebiet von Sisjön zu.
Der Besuch bei ihrem Kollegen Nils war kurz. Seiner Meinung nach würde Barbro Edin Olofsson nicht in akuter Gefahr schweben, und daher solle man abwarten. Dass sie am Arbeitsplatz bedroht worden sein sollte, leuchtete ihm absolut nicht ein; er glaubte eher, dass Jan Olof Olofsson von seiner Frau verlassen worden sei und sich anschließend hemmungslos betrunken habe. Nils’ überzeugendes Auftreten trug nicht gerade dazu bei, Pers Enthusiasmus für den Fall zu dämpfen, ganz im Gegenteil. Erika spürte, wie sie eine bleierne Müdigkeit überfiel. Es fiel ihr schwer, es zu akzeptieren, aber sie befand sich in schlechter Verfassung – körperlich, aber vor allem seelisch.
Kapitel 7
»Dort drüben liegt das Askimsbadet.« Per zeigte nach rechts, während er mit einer schnellen Bewegung das Lenkrad nach links einschlug, um auf die Straße abzubiegen, die vom Meer wegführte. Halbherzig lauschte sie Pers Beschreibung des Sandstrandes, den er mit Mallorca verglich. Besonders viel erinnerte hier nicht ans Mittelmeer, dachte Erika grimmig und betrachtete die zunehmend größeren Villen, die dicht neben der schmalen, sich steil aufwärtswindenden Straße erbaut worden waren.
Die Suche nach Vermissten erforderte häufig ein Großaufgebot an Einsatzkräften. Über siebentausend Personen wurden jedes Jahr in Schweden als vermisst gemeldet. Die Mehrheit von ihnen fand man lebend. Die Menschen, die das Glück nicht auf ihrer Seite hatten, fanden den Tod entweder auf dem Heimweg von der Kneipe, fielen vom Boot und verhedderten sich im Fischernetz des Nachbarn oder verirrten sich aus dem Seniorenstift mit Pyjama und Pantoffeln bekleidet im nächsten Wald. Und dann waren da noch diejenigen, die man niemals fand. Die vom Wald oder von Felsspalten verschluckt worden waren, sich in reißende Ströme schwarzen Wassers geworfen hatten, die sie nicht mehr losließen, oder in Schiffsschrauben gerieten und zu Biomasse geworden waren, wie Anna es so gepflegt ausgedrückt hätte.
»Dieses Gebiet nennt sich Trollåsen, Trollberg also, weiß der Geier warum. Hier wohnt man, wenn man Kohle hat«, sagte Per mit einem kleinen Lächeln. Er überprüfte die Adresse und fuhr zu einem Flachbau, der beinahe auf der Spitzedes Bergrückens lag. Als Erika das Haus sah – eine flache ausladende Gebäudehülle aus Ziegelsteinen, die von einem weißgetünchten Schornstein überragt wurde, sowie eine nach Westen zeigende Terrasse –, fiel ihr plötzlich die Titelmelodie der Familie Feuerstein ein. Automatisch hielten sie nach dem Meer Ausschau, sahen aber nur eine Handvoll Häuser, die sich an
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