Die Frau des Polizisten
nicht vorstellen, wie sehr ich dieses Wort ›nur‹ hasse«, erwiderte Erika mit einem müden Unterton in der Stimme. »Alles heißt immer bloß ›nur‹. Wenn man ein Außenstehender ist, jedenfalls. Du musst ihn »nur« anzeigen. Ihn »nur« verlassen. »Nur« wegziehen. »Nur« die Scheidungspapiere einreichen, eine Zwangsversteigerung beantragen, die Aufteilung des Ehevermögens.«
Sie verstummte, gab ihre aggressive Haltung auf.
Anna schwieg, ihr Hals war wie zugeschnürt.
»Hast du seine Misshandlungen angezeigt?«, fragte Anna mit heiserer Stimme. Erika nickte mit einem verkniffenen Zug um den Mund.
»Aber?«
»Ich habe ihn sowohl wegen Bedrohung als auch wegen Misshandlung angezeigt, mehrfach. Aber die Anzeigen wurden nie aufgenommen«, antwortete Erika sachlich.
Ihre Blicke begegneten sich. Es herrschte für kurze Zeit bedrückende Stille.
»Aber dein Chef?«
»Meine Gruppenleiterin hatte wegen mir nur Ärger. Ich meine, was verflucht noch mal sollte sie tun?«, seufzte Erika. »Eine Ermittlerin, die andauernd krank ist, psychische Probleme hat, unter Migräne leidet, augenscheinlich tablettensüchtig ist und darüber hinaus so dicht hält wie ein Sieb, wenn es um die Presse geht … Alle möglichen Gerüchte warenüber mich im Umlauf. Das Einfachste war, woanders neu anzufangen. Und einen Seufzer der Erleichterung auszustoßen, wenn das Problem verschwunden war.«
Erika sah, wie sich ihre eigene Empörung auf Annas Gesicht widerspiegelte, und riss sich zusammen. Sie hatte ihr von dem Hundewelpen erzählen wollen, den Göran ihr geschenkt hatte, den Hund, nach dem sie sich so gesehnt hatte. Boss, mit dem sie gespielt hatte und spazieren gegangen war, aber den Göran in einem seiner rasenden Anfälle von Eifersucht zu Boden gedrückt, ihm die Dienstwaffe an den Kopf gehalten und damit gedroht hatte abzudrücken. Er hatte Erika dazu gebracht, ihm zu schwören, dass sie ihn nie, nie verlassen würde, sonst müsse der Hund dran glauben. Ihr Mund war mit einem Mal so trocken, dass ihr das Schlucken schwerfiel.
»Ich bin wahnsinnig dankbar dafür, dass du und Krister für mich da seid«, flüsterte Erika. »Aber ich bin nicht sonderlich froh darüber, euch da mit hineinzuziehen. Ich kann euch nur um Entschuldigung dafür bitten, es tut mir leid. Ich verspreche, dass ich mich bald nach einer anderen Unterkunft umsehen werde.«
»Verflucht noch mal, Erika! Natürlich sind wir für dich da, das wäre ja noch schöner!«
Anna zwang sich zu einem Lächeln und behielt es bei, obwohl ihr der verzweifelte Ausdruck auf Erikas Gesicht alle Kraft raubte. Ihre Empörung verflüchtigte sich jäh, und sie schämte sich dafür, nicht schon früher begriffen, nicht nachgefragt zu haben.
»Bist du deswegen gekommen, weil er dich geschlagen hat?«
»Ja. Meine Gruppenleiterin war mir wegen der Vertretungsstelle behilflich, hat den Vorgang für mich untermDeckel gehalten. Aber Göran ist nicht dumm. Er hat selbstverständlich geahnt, dass etwas im Busch war, und mich wie ein Raubtier nicht aus den Augen gelassen. Ich habe die erstbeste Gelegenheit zur Flucht ergriffen, als er die Deckung gelockert hat. Wir waren Silvester bei Freunden zu einer Party eingeladen. Er hat mich vorher geschlagen, also …« Erikas Stimme verlor sich für einen flüchtigen Moment, sie atmete tief ein, war nicht in der Lage, Annas Blick zu begegnen.
»Er hat mich allein zu Hause gelassen. Und da bin ich abgehauen. Ich habe die ganze Nacht am Bahnhof verbracht und den ersten Expressbus hierher genommen.«
Erika spürte Annas forschenden Blick. Sie hatte zu einer kleinen Notlüge gegriffen, aber das spielte jetzt keine Rolle. Sie schaffte es einfach nicht, ihr von der Sache mit dem Hund zu erzählen, noch nicht.
»Er wird hierherkommen, nichts wird ihn daran hindern können«, sagte Erika angespannt. Anna sah sich um und stellte fest, wie dunkel es im Zimmer geworden war. Sie stand auf und zündete mehrere Öllampen und Kerzen in der Wohnung an. Das warme Licht breitete sich aus und verdrängte die bedrohliche Dunkelheit.
»Wir sind keine Übermenschen, Erika …«, sagte Anna nachdenklich und setzte sich wieder. »Als wir frisch von der Polizeihochschule kamen, waren wir irgendwie so rechtschaffen, so vorbereitet und allwissend, aber manchmal habe ich das Gefühl, dass wir einfach nur gelernt haben, uns um andere zu kümmern. Entscheidungen zu treffen, wenn andere nicht dazu in der Lage sind, wenn es anderen schlechtgeht. Aber wir
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