Die Frau des Polizisten
raste unter dem Brustbein wie ein Rennpferd.
Vor dem Fenster hing ein großer, nahezu gelber Vollmond. Die Krater und Erhebungen darauf ähnelten einem müden Gesicht. Aber jetzt sah es nicht mehr ganz so freundlich aus. Erika schloss die Augen, um das böse starrende Mondgesicht auszublenden. Aber die Fratze und das böse Lächeln, das darauflag, hatte sich in ihre Netzhaut eingebrannt.
Kapitel 42
Kai Andrée war stinksauer und mordsmäßig betrunken. Er lehnte sich im Verhörzimmer breitbeinig gegen den Tisch, um nicht umzufallen, den angebotenen Platz schlug er aus – er verwies auf seinen Hexenschuss. Sie hatten den umtriebigen Unternehmer frühmorgens in seiner schicken Villa auf Näset gefasst. Ein Nachbar hatte ihnen gestern den Tipp gegeben und aufgeregt von einer großen Party auf dem Anwesen erzählt, die am Abend stattfinden würde. Herr Andrée würde deshalb mit großer Wahrscheinlichkeit am nächsten Morgen zu Hause anzutreffen sein, nur falls die Polizei das interessieren würde.
Kai hatte wie ein hysterischer Straßenköter gebellt, er wolle den Polizisten wegen Missbrauchs im laufenden Verfahren, unbefugten Eindringens in Privatbesitz anzeigen und wegen Verletzung der Privatsphäre und Hausfriedensbruchs verklagen und noch so einiges mehr. Als Kais Anwalt auf dem Polizeirevier eintraf, hatte er Kleidung zum Wechseln für seinen Klienten mitgebracht. Der grässliche Morgenrock wurde gegen eine Jeans, ein Hemd und ein dunkelblaues Jackett mit goldenen Knöpfen plus gesticktem Emblem auf der Brusttasche und blitzblank geputzten Schuhen eingetauscht.
Interessiert musterte Erik den berüchtigten Geschäftsmann. Sein Gesicht war sonnengebräunt, scharfe Falten hatten sich auf der Stirn und um den Mund eingegraben. Seine Haare waren von einem einheitlichen Grau und gutgeschnitten, aber so zerzaust, als sei er gerade aus dem Bett gestiegen. Die Uhr an seinem Handgelenk sah klobig und schwer aus, und am Zeigefinger steckte ein dicker goldener Siegelring.Was Erik jedoch am meisten faszinierte, war der deplatziert wirkende Ponyschnitt mit langen Nackenhaaren, die sich beinahe zum Pferdeschwanz binden ließen.
Der Anwalt war einen Kopf größer als sein Klient. Schlanker, beinahe mager, aber mit einer noch tieferen Bräune. Seine blondierten Haare trug er als schulterlangen Pagenkopf, der ihn wie einen alternden Rockstar wirken ließ. Als Kai den hässlichen Morgenrock losgeworden war, hätten die beiden glatt als Geschwister durchgehen können, wie zwei Ken-Puppen. Mit zwei Köpfen zum Auswechseln, dachte Erik und spürte, wie sich vor lauter Müdigkeit ein übermütiges Kichern Bahn brach.
Schließlich ließ Kai sich doch dazu überreden, sich zu setzen. Sein Kopf sackte nach vorn, und das Gesicht verlor an Konturen, aber seine Augen funkelten die Polizisten immerzu wachsam an. Der Anwalt wirkte so, als sei er aus dem Bett gerissen worden und strich sich mechanisch den Pony aus der Stirn. Mit einem gezwungenen Lächeln nahm er neben seinem Klienten Platz.
Torbjörn betrat den Raum. Er blieb einen Augenblick im Türrahmen stehen und gab den beiden Herren damit reichlich Zeit, seine überwältigende Präsenz zu registrieren. Mit einem Grunzen richtete er sich zu voller Größe auf, trat ans Fenster, zog einen Stuhl zu sich heran und setzte sich hinter die beiden Männer in eine Ecke des Raumes. Erik nahm am Tisch Platz und lächelte freundlich, während er augenscheinlich ziellos seine Papiere durchblätterte, sich zerstreut den Kopf rieb und seinen Hintern auf dem Stuhl zurechtrückte. Das Benehmen hatte den geplanten Effekt, Kai gab abermals Schimpfworte und Unflätigkeiten von sich und irritierte zunehmend seinen Anwalt, der immer unbehaglicher dreinblickte.
»Es tut uns wirklich sehr leid, Ihre wohlverdiente Wochenendruhe gestört zu haben«, sagte Erik mit einem gespielten Lächeln und ohne das geringste Anzeichen, dass er die Schimpftirade gehört hatte.
»Aber bedauerlicherweise wird die mit ihrem Projekt betraute Bezirksarchitektin vermisst. Wir würden gerne von Ihnen wissen, wie Ihr Verhältnis zu ihr war und weshalb Sie einfach so auf das Stadtbauamt marschiert sind und sich dort so lautstark aufgeführt haben. Als Sie das letzte Mal dort waren, waren Sie ja ziemlich wütend, vor allem auf Sten Åhlander, Barbros Chef, wie wir erfahren haben.«
»Mein Klient hat lediglich …«, setzte der Anwalt an.
»Ich bin überzeugt davon, dass Herr Andrée der Sprache ausreichend mächtig ist, um
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