Die Frau des Polizisten
Dann wurde mir auch klar, weshalb er so dagegen war. Er hatte wohl vorgehabt, sich das Leben zu nehmen, ich kam also verdammt ungelegen.«
Erika überprüfte die Uhrzeit, die Ingemar angab, und stellte fest, dass sie mit den Angaben des Arztes übereinstimmte.
Nach dem Gespräch blieb sie noch einen Moment auf dem Askims torg stehen. Sie hatte das Gefühl, etwas Wichtiges übersehen zu haben – etwas, das direkt vor ihr lag.
Kapitel 40
Erika lehnte sich gegen ein Trainingsgerät und studierte die Tafel, die daran angebracht war, während sie darauf wartete, dass jemand den Hörer abnahm. Gluteus Maximus . Die Darstellung auf dem Schaubild zeigte einen von Muskelsträngen durchzogenen Körper. In der Leitung tutete es monoton weiter; geistesabwesend betrachtete sie ein paar Muskelprotze, die auf der Fußmatte im Eingangsbereich des Fitnessstudios fröhlich mit einem Pitbullwelpen schmusten. Gerade als sie aufgeben wollte, nahm jemand ab.
»Pernilla Krans.«
»Hallo, Pernilla«, sagte Erika mit fester Stimme. Sie hörte, wie am anderen Ende der Leitung tief Luft geholt wurde.
»Mir ist zu Ohren gekommen, dass ich eine unserer Kolleginnen bei einer Afterwork-Party misshandelt haben soll?«, fuhr Erika ruhig fort. Pernilla entfuhr ein Seufzer.
»Ja, gegen dich liegt eine Anzeige bei uns vor«, antwortete sie kleinlaut.
»Und es gibt Zeugen, die das Ganze bestätigen können?«
»Nein, die gibt es nicht, aber Fotos von den Verletzungen. Und Inger gibt an, dass du es warst.«
»Verstehe. Wir wissen also nicht, wer sie geschlagen hat?«
»Hör auf, Erika! Das bringt doch nichts, das weißt du. Du wurdest angezeigt. Wir müssen der Anzeige nachgehen, und das Gericht muss …«
»Ach so, wenn eine Anzeige gegen mich vorliegt, dann kann man den Kram also verfolgen, ja«, schnitt Erika ihr das Wort ab, mit einer Stimme, die sie beinahe selbst nicht wiedererkannte. Ihre Arme zitterten vor schierer Wut.
»Und was ist mit der Flut von Anzeigen, die ich all die Jahre hindurch gemacht habe, die haben sich einfach in Luft aufgelöst, ohne dass jemand sie vermisst hätte. Verstehe ich das richtig?«, zischte sie hitzig.
»Bitte, Erika, ich …«
»Zum Teufel, Pernilla! Du weißt, dass das Quatsch ist. Du weißt, wer dahintersteckt. Inger wurde von Göran in die Mangel genommen, und vermutlich hat er ihr mit einer Wiederholung gedroht, wenn sie mich nicht anschwärzt.«
Das Schweigen am anderen Ende sprach für sich.
»Ich will ja nicht undankbar sein, Pernilla, aber du musst auch verstehen, dass es für mich hier um alles geht. Du weißt doch sicher, was passiert ist?«
Ein kaum hörbares Ja war die Antwort.
»Ihr könnt Göran nicht … Ich bin es, die ihre Arbeit verliert, keine Wohnung hat, kein Geld, nichts …« Erika schluckte den Rest hinunter, es brachte ja sowieso nichts. »Scheißegal, Pernilla. Aber versprich mir, dass ihr für mich da seid, wenn ich Beweise gegen ihn habe, verdammt. Versprich’s!«
»Ja, ich verspreche es.«
»Wo ist er jetzt? Ist er noch in Göteborg?«
»Wahrscheinlich. Er ist jedenfalls nicht hier in Stockholm. Seit beinahe zwei Wochen hat ihn niemand mehr gesehen.«
Erika hörte Pernilla schlucken.
»Erika, pass bloß auf dich auf. Ich glaube, er hat die Kontrolle über sich verloren.«
Erika zog sich um und betrat den Fitnessraum – zum ersten Boxtraining seit langem. Den Gips war sie los, aber der Arm, der darunter zum Vorschein gekommen war, sah seltsam dünn aus und erinnerte viel mehr an einen Arm einer Leiche. Egal, sie würde nicht lockerlassen. Und Göran sollte sich lieber auf eine Auseinandersetzung gefasst machen!
Während sie die Boxhandschuhe überstreifte, versuchte sie das Bild von Inger heraufzubeschwören – einer entzückenden und ehrgeizigen Kollegin. Nicht hübsch, eher süß. Und blond, natürlich. Sie war schon immer scharf auf Göran gewesen. Ob sie es war, die jetzt an ihrer Stelle im Doppelbett in Enskede lag? Aus irgendeinem Grund bezweifelte sie das. Aber Prügel hatte sie einstecken müssen.
Du Arme, dachte Erika verbittert, während ihr Puls schneller ging, du ahnst ja nicht, worauf du dich eingelassen hast!
Der erste Schlag raubte ihr den Atem. Sie schüttelte sich, konzentrierte sich auf ihren Widersacher und spürte den Adrenalinschub. Ihr Puls raste, als die unterdrückte Wut sich gewaltsam Bahn brach.
Kapitel 41
Erika wühlte in ihrer Tasche, auf der Suche nach der kleinen Passierkarte, dem »Sesam, öffne dich« zum
Weitere Kostenlose Bücher