Die Frau des Praesidenten - Roman
ich mir einen stärkeren Glauben, ein Gebet, das ich von Herzen hätte sagen können, aber mir fiel keines ein. Ich kauerte mich hin, um den Stein zu berühren, wie ich Andrew nie wirklich berührt hatte, und dachte:
Ich hoffe, du hast Frieden gefunden. Es tut mir so leid.
Die einzige Antwort, die ich hörte, war das Brummen des Rasenmähers, aber ich hatte nichts anderes erwartet.
Ich ging zu meinem Auto zurück und fuhr zum Grace Cemetery, dem protestantischen Friedhof. Zwischen den beidenEingängen lag nicht mal ein Kilometer, und ich hätte zu Fuß gehen können, aber die Straßen hatten hier keine Gehwege, und es wäre zu viel der grimmigen Ironie gewesen, zwischen zwei Friedhöfen überfahren zu werden. Auf dem Grace Cemetery wusste ich, wo die Grabsteine meines Vaters und meiner Großmutter waren. Im Gegensatz zu Andrews standen sie aufrecht. Der meines Vaters war grau und oben leicht gewölbt wie das Kopfende eines Bettes, und der meiner Großmutter hatte eine ähnliche Form, war aber blankpoliert und schimmerte rosafarben und graumeliert. Philip Warren Lindgren, 1923–1976, unser geliebter Sohn, Ehemann und Vater. Und auf dem meiner Großmutter stand: Emilie Warren Lindgren, 1896–1988. Für sie hatte meine Mutter die Darstellung eines aufgeschlagenen Buches mit leeren Seiten als Hintergrund der Inschrift ausgewählt. Dieses Bild sollte wohl üblicherweise an die Bibel erinnern, aber meine Mutter hatte zu mir gesagt: »Weil Granny doch so gern gelesen hat«, und sie hatte sicher keine religiösen Texte gemeint. Die Erde auf dem Grab meiner Großmutter war noch dunkel und feucht – ihre Beerdigung lag kaum mehr als einen Monat zurück, und ich hatte noch immer das Gefühl, ich würde sie bald wiedersehen. Ich legte die Blumen zwischen den beiden Grabsteinen ab. Obwohl ich keine feste Vorstellung von Seelen und dem Leben nach dem Tod hatte, fand ich es tröstlich, dass sie einander jetzt nah waren. Meine Großmutter hatte ihren Sohn, ihr einziges Kind, um zwölf Jahre überlebt, und ich versuchte mir vorzustellen, wie es wäre, Ella zu überleben, aber der Gedanke war mir unerträglich.
Ich hätte meinen Vater, wäre er noch am Leben gewesen, nie gefragt, was ich in Bezug auf meine Ehe tun sollte; eine so intime Frage hätte ihm widerstrebt. Aber ich konnte mir denken, was er mir geraten hätte. Was meine Großmutter anging, musste ich nicht erst überlegen – sie hatte sich deutlich dazu geäußert. Und hier auf diesem Friedhof schämte ich mich plötzlich dafür, dass ich jemals etwas anderes in Betracht gezogen hatte und mich noch immer so verhielt, als hätte ich eine Wahl. Vielleicht hatte mich mein Umgang mit reichen Leuten– oder die Tatsache, dass ich selbst reich geworden war – vergessen lassen, dass das Leben aus harter Arbeit bestand. Oder vielleicht lag es an diesem Jahrzehnt, an dem kulturellen Wandel – es war ganz gleichgültig. Entscheidend war, dass ich es überhaupt vergessen hatte. Vor fast elf Jahren hatte ich einen Schwur geleistet, in aller Öffentlichkeit ein Versprechen gegeben. Das Motto meines Vaters fiel mir wieder ein –
Was auch immer du bist, sei gut darin
–, und während ich mich früher darüber definiert hatte, die Tochter von Philipp und Dorothy Lindgren zu sein, die Enkelin Emilie Lindgrens, war ich jetzt die Ehefrau von Charlie Blackwell, Ella Blackwells Mutter. All diese Menschen wären jeder auf seine Weise zutiefst enttäuscht, wenn ich meine Ehe jetzt scheitern ließ. Was blieb mir denn anderes übrig, als zu Charlie zurückzukehren und zu versuchen, wie meine Mutter es damals mit meinem Vater zu tun beschlossen hatte, ihm mit Güte zu begegnen?
In der Amity Lane reichte mir meine Mutter einen Zettel, auf dem in Lars’ Handschrift stand:
Yvonne Sutton bitte so bald wie möglich zurückrufen
, gefolgt von einer siebenstelligen Telefonnummer. Als ich sie anrief, hörte ich im Hintergrund Antoine weinen. »Alice, wir sind so froh, dass Jessica auf Ellas Schule gehen wird«, sagte Yvonne. »Ich weiß nicht, was Sie angestellt haben, um ihr dieses Stipendium zu verschaffen, aber Gott segne Sie.«
»Bitte sehen Sie Biddle nicht als Ellas Schule, es ist jetzt auch Jessicas. Und Yvonne, sie selbst ist diejenige, die es sich ermöglicht hat, dort hinzugehen. Wir freuen uns so sehr für sie. Wenn Sie irgendwelche Fragen zu der Schule haben, rufen Sie uns gern jederzeit an.«
»Das ist wirklich großzügig von Ihnen, und, das hätte ich fast vergessen, vielen
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