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Die Frau des Praesidenten - Roman

Die Frau des Praesidenten - Roman

Titel: Die Frau des Praesidenten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Curtis Sittenfeld
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…«
    »Erst seit zehn Tagen ungefähr, aber ich fühle mich wie neu. Ich stehe um sechs auf und fahre zu dem Sportplatz in Cudahy an der Highschool. Ist ein ganzes Stück zu fahren, aber unglaublich erfrischend.«
    Charlie stand um sechs Uhr auf und fuhr bis nach Cudahy, um auf der Aschenbahn einer öffentlichen Schule joggen zu gehen?
    »Also«, sagte er, »ich will dich nicht weiter aufhalten. Lass uns jetzt Schluss machen, und dann ruf ich morgen von der Arbeit aus Ella an.«
    »Wo bist du jetzt gerade?«, fragte ich.
    »Ich sehe mir das Spiel im Fernsehen an. Die Brewers sind heute in Anaheim. Hey, mein neues Büro im Stadion macht echt was her. Du musst es dir unbedingt mal ansehen.« Sein Tonfall war so freundlich und entspannt, als wäre ich eine Nachbarin, die er besonders gern mochte. »Schlaf gut, Lindy«, sagte er. »Sag Ella alles Liebe von mir.«
    Ich war kurz davor gewesen, ihn zu fragen, wo er jetzt übernachtete – zu Hause, wie es aussah, aber ich konnte es einfach nicht glauben – und wer Reverend Randy war, aber das Gespräch war so gut verlaufen, dass ich mich in seinen Rhythmus und sein bevorstehendes Ende fügte. »Dir auch alles Liebe«, sagte ich.
     
    Am Abend darauf lasen Ella und ich vor dem Schlafengehen ein Kapitel aus
Der phantastische Mr. Fox
, und als ich aufstand, um das Licht zu löschen, fragte sie: »Mom, wer ist Andrew Christopher Imhof?«
    Ich erstarrte. Mit mühsam beherrschter Stimme fragte ich: »Hat dir jemand von ihm erzählt?« Vielleicht Dena, als sie ihr das Diadem gegeben hatte? Auf der Commerce Street waren wir noch einer früheren Mitschülerin von mir begegnet, Mary Haflinger, aber Mary hatte Andrew ganz sicher nicht erwähnt. Und selbst wenn sie oder sonst irgendjemand von ihm gesprochen hätte, hätte ich es mitbekommen müssen.
    Ella hob ein dunkelblau gebundenes Buch hoch, das auf ihrem Nachttisch lag. Ich erkannte mit einem raschen Blick auf die silberne Gravur des Einbands, dass es mein Highschool-Jahrbuch war. »Er steht hier drin«, sagte Ella, öffnete das Buch und begann zu blättern. Dann hielt sie die Seite hoch, auf der »In Memoriam« stand und darunter Andrews voller Name und ein Schwarzweißfoto von ihm mit seinem hellen Haarschopf, seinen langen Wimpern und seinem herzzerreißend liebenswerten Lächeln. Unter dem Foto standen seine Lebensdaten: 1946–1963. Das schien schrecklich lange her zu sein. Die vierziger Jahre verband ich mit dem Zweiten Weltkrieg, mit Sugar Ray Robinson und Rita Hayworth, aber auch die sechziger Jahre, besonders die frühen sechziger Jahre, kamen mir so weit weg vor: die Zeit, in der Jackie Kennedy einen Pillbox-Hut trug und Affen in den Weltraum geschossen wurden.
    Ella zeigte auf die beiden Jahreszahlen und fragte: »Heißt das, er ist gestorben?«
    Ich ging zum Bett hinüber. »Andrew war ein Junge in meiner Klasse, und ja, er ist gestorben, als wir Seniors an der Highschool waren. Es war sehr, sehr traurig.«
    »Wie ist er gestorben?«
    Mein Herz hatte sich in meiner Brust geweitet und drückte mir die Luft ab, das Sprechen und Atmen fiel mir schwer. War Ella alt genug dafür? Sie war noch im Kindergarten gewesen, als sie mich gefragt hatte, woher die kleinen Kinder kämen, und ich hatte es ihr erklärt, einfach und kurz, aber in klaren Worten. Ich hatte auch die Worte
Vagina
und
Penis
benutzt, was Jadey kaum glauben konnte, als ich ihr die Anekdote erzählte – Drew war zwölf Jahre alt, aber bei ihnen zu Hause warimmer noch die Rede von
Mumu
und
Pipimann
. Ich glaubte nicht daran, dass es Kindern oder Eltern nützte, wenn man ihren Fragen auswich.
    Ich atmete tief durch. »Er starb bei einem Autounfall.«
    »War er angeschnallt?«
    »Damals hatten viele Autos gar keine Gurte«, sagte ich. »Sie waren nicht so gut gesichert wie heute.«
    »Hast du geweint, als er gestorben ist?«
    »Ja«, sagte ich. »Ich habe sehr viel geweint.« Dann fuhr ich fort – ich war nicht sicher, ob ich Ella falsch einschätzte, aber vielleicht wäre es auch ein Fehler, ihr nichts zu sagen: »Ich war an diesem Unfall beteiligt. Ich fuhr eins der Autos, und Andrew fuhr das andere, und mein Auto rammte seins.«
    Ella riss die Augen weit auf. »Musstest du ins Krankenhaus?«
    »Ja, aber ich war nicht ernsthaft verletzt. Ich hatte Glück, und Andrew hatte Pech. Er war ein wundervoller Mensch, und ich mochte ihn sehr. Ich kannte ihn schon, seit wir beide viel jünger gewesen waren, als du es jetzt bist. Als er starb, war das das Traurigste,

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