Die Frau des Praesidenten - Roman
Erkenntnis?
Ich sagte: »Es wäre keine Sünde, wenn ich als Ehefrau meinen Mann jetzt küssen würde, oder?« Ich hatte den Satz kaum zu Ende gesprochen, als Charlie aufsprang und mich umarmte. Ihn endlich wieder in den Armen zu halten, diesen Körper, den ich so gut kannte, seine Größe, seinen Geruch, die Haut, die Haare und die Kleidung – was für eine Erleichterung, und wie richtig sich alles anfühlte, nicht nur zum ersten Mal seit Wochen, sondern seit Jahren. »Du hast ja keine Ahnung, wie sehr ich dich vermisst habe«, flüsterte er mir ins Ohr.
Ich legte den Kopf in den Nacken, um ihn anzusehen, und sagte: »Ella ist mit Winnie und Jadey zum Schwimmen im Country Club. Du könntest wohl nicht zufällig früher Schluss machen?«
Charlie grinste. »Ich werde mal meinen Kompagnon fragen.« Er spitzte ein Ohr und tat so, als würde er jemandem zuhören – außer dem Surren eines Ventilators war da nichts –, und dann nickte er. »Er hat gesagt, bei einer so gutaussehenden Frau wäre es ein Verbrechen, hierzubleiben.« Charlie sammelte ein paar Papierstapel von seinem Schreibtisch zusammen, steckte sie in eine Aktentasche und ließ das Schloss zuschnappen. Bevor wir hinausgingen, nahm er mich bei der Hand.
Vierzig Minuten später lagen wir nackt in unserem Bett, ich auf dem Rücken und er auf mir. Bevor er in mich eindrang, hielt er inne – ich war bereit dafür, mehr als bereit, ihn in mich aufzunehmen – und sagte sehr ernst: »Von jetzt an werde ich der Ehemann sein, den du verdienst.«
Ich nickte, atemlos und erhitzt. »Mach schon«, sagte ich.
All diese Jahre später behauptete man, ich hätte ihn vor die Wahl gestellt: »Jack Daniel’s oder ich – du musst dich entscheiden«, oder, als Variante: »Jim Beam oder ich.« Das mag griffig klingen, aber ich habe es nie gesagt. Auch in weniger einprägsamer Form habe ich ihm nie damit gedroht, ihn zuverlassen, wenn er nicht aufhörte zu trinken. Ich habe ihn tatsächlich eine Zeitlang verlassen, und er hat mit dem Trinken aufgehört, und zwischen beiden Ereignissen gab es einen Zusammenhang, aber keinen so direkten oder simplen, wie es von außen den Anschein hat.
Seine Kritiker begeistern sich mehr für diese falsche Anekdote als seine Anhänger, und sie soll, wenn ich es recht verstehe, illustrieren, es sei alles meine Schuld – dass er gewählt wurde, dass er Präsident werden konnte, der Krieg, den er begonnen hat. Warum hatte ich ihn nicht in Ruhe weitertrinken lassen? Unzählige Ehefrauen erdulden schließlich Tag für Tag dasselbe!
Diese Anschuldigungen setzen voraus, dass Einigkeit darüber besteht, was für ein Präsident Charlie ist – ein erbärmlicher nämlich, so sagen es seine Kritiker. Bin ich der Meinung, dass er ein erbärmlicher Präsident ist? Ich bin der Meinung, dass die Dinge immer etwas komplizierter sind, als wir glauben.
Außerdem setzen sie voraus, dass ich ahnte, was geschehen würde, dass irgendjemand es im Voraus wusste. Aber damals, 1988, konnte ich mir nicht vorstellen, wie radikal sich unser Leben ändern sollte. Wenn es mir jemand gesagt hätte, hätte ich die Voraussage für ungefähr so plausibel gehalten wie die eines einsamen Menschen an einer Straßenecke, der auf einem Pappschild vor der nahenden Apokalypse warnt.
Dein Ehemann wird Präsident werden; das Ende ist nah.
Ich wäre mit einem unbeteiligten Lächeln an ihm vorübergegangen.
An dem Wochenende nach meiner Rückkehr waren wir bei den Laufs, Freunden von uns, zu einer Feier eingeladen, zu der auch Joe Thayer kam. Er kam auf mich zu, als ich gerade das Büfett ansteuerte. An seiner Haltung erkannte ich, noch bevor er zu sprechen anfing, wie leidenschaftlich erregt er war. »Alice«, sagte er, »ich will dich nicht unter Druck setzen, aber hast du über das nachgedacht, was ich in Princeton gesagt habe?«
Er konnte doch wohl nicht meinen, dass er mit mir eine Beziehung eingehen wollte, das konnte nur der Alkohol gewesensein – aber in diesem Moment war es nur allzu offensichtlich, dass es genau das war, was er sagen wollte. Er sah mich mit so glühendem Eifer an, dass ich hätte lachen wollen, wenn da nicht die leise Drohung gewesen wäre, die bei so überschießenden Emotionen mitschwingt.
Ich bemühte mich um einen bestimmten, nicht unfreundlichen Tonfall, als ich sagte: »Joe, ich werde meine Ehe nicht aufgeben.«
»Aber in Princeton …«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich hätte zurückhaltender sein sollen.«
»Alice, du hast mich
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