Die Frau des Praesidenten - Roman
geküsst. Ich will nicht annehmen, dass du das mit jedem Dahergelaufenen tust, aber vielleicht irre ich mich ja!« So aufgewühlt hatte ich ihn noch nie erlebt. Vielleicht stellte er sich vor, er könnte mich, wenn nicht durch Schmeicheleien, dann durch Beharrlichkeit für sich gewinnen, und falls das scheitern sollte, durch böswillige Unterstellungen. Mir kam flüchtig der Gedanke, dass jeder von uns auf seine eigene Weise armselig war und es nur darauf ankam, jemanden zu heiraten, mit dessen Armseligkeit man zurechtkam – seine hätte ich nie tolerieren können. Vielleicht, dachte ich, war Carolyn Thayers Verhalten doch nicht so unerklärlich, wie es mir vorgekommen war.
»Es geht einfach nicht«, sagte ich, und um ihn nicht zu sehr zu kränken, bemühte ich mich, dabei bedauernd zu klingen. Es kommt mir wie eine Ironie des Schicksals vor, dass es Charlie war, der mich nichtsahnend aus dieser Situation rettete. Er tauchte plötzlich neben mir auf, legte mir eine Hand auf den Rücken und sagte: »Joey T, wann kommst du eigentlich mal mit uns ins Stadion? Such dir einfach ein Datum aus, und du bekommst eine Eintrittskarte mit deinem Namen drauf.«
Joe schnappte nach Luft. Es klang sehr vorwurfsvoll, als er antwortete: »Wenn das nicht großzügig ist.«
»Weißt du was, wir sollten einen Herrenabend draus machen.« Charlie wies mit einem Kopfnicken auf mich. »Die Dame hier wird mehr Spiele absitzen müssen, als sie es sich in ihren wildesten Träumen vorgestellt hat, also sollten wir sie daseine Mal außen vor lassen. Aber funk mal deinen Bruder an, finde raus, wie es allen am besten passt, und dann halten wir was fest.« Charlie beugte sich vor und senkte die Stimme: »Also, ich weiß ja nicht, ob du schon wieder in freier Wildbahn unterwegs bist, aber Zeke Langenbacher hat da eine bildhübsche junge Assistentin, ein tolles Mädchen aus einer sehr netten Familie in Louisville. Ich würde euch zwei wirklich gern verkuppeln. Alice, halt dir mal die Ohren zu.« Das tat ich nicht, und er wusste, dass ich es nicht tun würde, und fügte noch hinzu: »Und ihr Vorbau ist auch nicht von schlechten Eltern.«
»Charlie!« Ich gab ihm einen Klaps, obwohl ich meinen Mann gerade in diesem Moment sehr liebte. Er hatte mich daran erinnert, dass er, trotz Joes sarkastischer Bemerkung, wirklich sehr großzügig und freundlich sein konnte. Joe blickte finster vor sich hin – er hasste Charlie in diesem Augenblick mindestens so sehr, wie ich ihn liebte –, und von da an mied er mich, solange wir noch in Maronee lebten. Er sorgte dafür, dass ich es merkte, indem er Augenkontakt suchte, wenn wir uns irgendwo begegneten, und dann abrupt wegsah, ohne mit mir zu reden. Soweit ich weiß, haben sich Charlie und er nie zusammen ein Spiel angesehen.
Jadey hatte mir bis zu meiner Rückkehr nach Milwaukee nichts davon erzählt, wie sehr mein Ausflug nach Riley Arthur aufgewühlt hatte. An dem Nachmittag nach der einen unruhigen Nacht, die Charlie in ihrem Haus zugebracht hatte, war er früher von der Arbeit heimgekommen, hatte geweint und zu Jadey gesagt, wie verloren er wäre, wenn sie ihn je verlassen sollte, und dass er lieber sterben würde. Anschließend hatten sie umwerfenden Sex gehabt, und seitdem trug er sie auf Händen und hatte ihr sogar schon zweimal ohne Grund Blumen mitgebracht. Sie hatte ihm weder eröffnet, wie sehr seine Bemerkung über ihr Gewicht sie gekränkt hatte, noch gestanden, wie intensiv sie über eine Affäre nachgedacht hatte – schlafende Hunde sollte man nicht wecken, erklärte sie mir. »Vielleicht solltest du öfter mal die Stadt verlassen«, fügte siezuletzt hinzu. »Für Arthur ist das ein
unschlagbares
Aphrodisiakum.«
»Freut mich, dass ich dir helfen konnte«, war alles, was ich darauf erwidern konnte.
Ich glaube, die darauf folgenden fünf oder sechs Jahre waren die glücklichsten, die Charlie und Ella und ich als Familie miteinander verlebt haben. Wie es alle erwartet hatten, meisterte Charlie seine neue Rolle bei den Brewers mit Bravour. Er ging zu fast allen Heimspielen und zu einigen Auswärtsbegegnungen, und Ella und ich waren bei vielen mit dabei, wenn es für sie auch im Laufe ihrer Pubertät immer mehr an Reiz verlor, einen Abend mit uns beiden im Stadion zu verbringen. Ich dagegen denke voller Nostalgie an all diese Abende unter der Woche und an den Samstagen und an die Sonntagnachmittage zurück, an die stürmischen und sonnigen Tage, die unerträglich heißen, nach denen
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