Die Frau des Praesidenten - Roman
hinausbegleitet, mich mit einer kugelsicheren Weste ausgestattet und zum nächsten Bunker gebracht.
Ich erlaube mir einen Blick auf die Warteschlange, versuche abzuschätzen, wie viele es noch sind – über vierzig sicherlich –, und winke Ashley Obernauer zu mir heran, meine persönliche Assistentin. (Ashley ist fünfundzwanzig Jahre alt und unfassbar kompetent.) Als sie sich zu mir herüberbeugt, sage ich: »Fragen Sie Hank, warum er hier ist.«
Kurz darauf steht sie wieder neben mir. »Er sagt, dass er auf der Rückfahrt – ich zitiere – ein bisschen mit Ihnen plaudern möchte. Worüber, hat er nicht gesagt.«
»Ihr Ehemann ist so ein großartiger Mensch«, sagt eine zierliche Frau in einer weißen Polyesterhose und gewelltem grauem Haar, die mir gerade die Hand schüttelt. »Wir beten jeden Abend für Sie beide.«
»Ich danke Ihnen.« Ich drehe mich nach vorn zur Kamera und versetze ihr dabei einen leichten Schubs, damit auch sie ins Objektiv schaut.
»Es ist mir eine solche Ehre …«, setzt sie an, aber einer der Organisatoren bringt sie dazu, weiterzugehen.
»Danke, dass Sie gekommen sind«, rufe ich ihr hinterher.
Die Nächste ist wieder eine ältere Dame (vielleicht ein Pflegeheim auf Betriebsausflug?), und sie sagt: »Bestellen Sie President Blackwell, dass Mrs. Mabel Fulford gesagt hat: Lassen Sie sich von den Terroristen nicht ins Bockshorn jagen!«
»Das mache ich«, sage ich, das Blitzlicht leuchtet auf, und die Nächste ist dran, eine Frau, die mehr in meinem Alter ist. »Ich habe heute die Arbeit geschwänzt, um Ihren Vortrag zu hören«, sagt sie.
»Ich verrate es bestimmt niemandem«, antworte ich. Manchmal lassen mich diese Veranstaltungen an die Potemkin’schen Dörfer denken, so groß ist der Kontrast zwischen der Begeisterungund Herzenswärme der Menschen, denen wir dort begegnen, und der erdrückend negativen Berichterstattung über alles, was mit Charlies Regierung zu tun hat, in den Medien. Natürlich haben auch viele Wähler kritische Ansichten, aber sie besuchen diese Veranstaltungen meist nicht, es sei denn, sie wollten demonstrieren, und dann werden immer ausgefeiltere Vorkehrungen getroffen, um sie an der Teilnahme zu hindern. Das Hotel habe ich aus Sicherheitsgründen über einen Hintereingang betreten, aber bei meiner Ankunft habe ich im Vorüberfahren einen kurzen Blick auf eine Gruppe von Demonstranten auf der anderen Straßenseite erhascht, die Transparente hochhielten und Parolen skandierten. Normalerweise demonstrieren sie gegen den Krieg, aber heute meine ich auch Transparente gegen Ingrid Sanchez’ Berufung in den Supreme Court gesehen zu haben.
Die nächste Frau fragt mich: »Wann wird Ella denn ihren Kavalier heiraten?«
»Ich lasse es Sie wissen, sobald ich es weiß«, antworte ich lachend. Blitzlicht, Blitzlicht, noch ein Blitzlicht, und dann, endlich, sind wir am Ende der Schlange angekommen. Die Organisatoren danken mir überschwänglich und überreichen mir einen Präsentkorb, den Ashley für mich entgegennimmt, und damit machen wir uns auf den Weg zur Hintertür und zur Autokolonne: meine Assistentin Ashley, eine Pressesprecherin namens Sandy, Bill Rawson, einer der offiziellen Fotografen im Weißen Haus, eine Expertin für Gesundheitspolitik namens Zinia und sechs Leibwächter (draußen warten noch mehr). »Alice?«, sagt Ashley unterwegs, und ich strecke meine Hände nach vorn; sie sprüht etwas Desinfektionsmittel darauf, und ich verreibe es zwischen den Handflächen.
Inzwischen ist Hank neben mir aufgetaucht. »Amerika liebt eben seine First Lady«, sagt er. Meine Abneigung gegen den Ausdruck
First Lady
ist allgemein bekannt (ich finde ihn betulich und veraltet, auch wenn ich ihn aus Mangel an Alternativen manchmal selbst verwende), und jeder im Weißen Haus nennt mich einfach Alice oder Mrs. Blackwell. Ich zwinge mich zu einem Lächeln. Draußen schlägt uns sommerlicheHitze entgegen, die selbst auf den wenigen Metern zur Autokolonne erdrückend ist. Ein Mitarbeiter des Secret Service namens Cal hält mir beim dritten Geländewagen in der Reihe die hintere Tür auf. (Wann immer es möglich ist, verzichte ich auf die großen Autokolonnen zugunsten von ein paar Town Cars ohne Eskorte, aber das Brustkrebs-Forum hat in den Medien viel Aufmerksamkeit bekommen. Vor dem September 2001 habe ich öffentliche Veranstaltungen mit drei Autos und sechs Leibwächtern besucht; jetzt sind es zusätzlich zur Polizeieskorte fünf Autos und neun Leibwächter, und
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