Die Frau des Praesidenten - Roman
aufgetaucht sind: »Etwas mehr links«, oder »Langsam, bitte, Ma’am.« Dafür, dass sie meist gut drei Zentner wiegen, bewegen sie sich erstaunlich anmutig.
»Bist du sicher, dass die Frau Norene Davis heißt?«, frage ich Hank.
Hank holt ein Blackberry aus der Innentasche seines Blazers und liest vom Display ab. »Alter: sechsunddreißig Jahre, aktuelle Adresse: 5147 Manchester Street in Cicero, Illinois, wobei einiges dafür spricht, dass sie dort nicht mehr wirklich wohnt. Geschieden, kinderlos, beruflich als Pflegerin bei einem ziemlich runtergekommenen ambulanten Pflegedienst namens Glenview Health Service tätig.«
»Ist es möglich, dass sich ihr Name geändert hat?«
»Alles ist möglich. Ich habe den Eindruck, dass sie nur eine Strohpuppe ist, aber die Frage ist, für wen. Während unsere unermüdlichen Ermittler das herausfinden, wollte ich bei dir nachfragen. Aber jetzt kommt der interessante Teil der Geschichte: Das Mädel will uns nicht erpressen, jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinn. Stattdessen droht sie damit, an die Öffentlichkeit zu gehen, es sei denn, du würdest dich gegen Ingrid Sanchez’ Nominierung aussprechen.«
Verwirrt wiederhole ich: »Es sei denn, ich würde …«, aber noch bevor ich die Frage zu Ende formuliert habe, begreife ich.Die knappen Aussagen, die ich 2000 und 2004 öffentlich zu meiner Einstellung zur Abtreibungsfrage gemacht habe, waren für Pro-Choice-Aktivisten alles andere als befriedigend. Sie hätten sich im Gegenteil lieber eine First Lady mit einer eindeutigen Pro-Life-Position gewünscht, eine Feindfigur, als eine, die im Stillen das Recht auf weibliche Selbstbestimmung befürwortet. Wie schon gesagt, waren die Fragen des Interviewers mehr oder weniger gestellt: Charlie hatte sie abgesegnet, also hatte auch Hank sie abgesegnet, also nützte es der Regierung, dass ich sie beantwortete. Und das tat es tatsächlich, denn schließlich sind auch viele Wähler der Republikaner Pro-Choice-Anhänger. Der Moderator hatte sich im Vorhinein verpflichtet, nicht weiter nachzuhaken, und bei dem ersten Interview lautete seine nachfolgende Frage: »Um auf ein weniger heikles Thema zu kommen – es gibt da ein Mitglied der Familie Blackwell, das bekannterweise noch pressescheuer ist als Sie. Würden Sie unseren Zuschauern etwas über die geheimnisvolle Snowflake verraten?« Nachdem der Beitrag ausgestrahlt worden war, bekam ich einen Brief von Jeanette Warden aus Madison, die mir vor so vielen Jahren auf dem Barbecue, auf dem ich Charlie kennengelernt hatte, mit ihren endlosen Geschichten von Ehe und Kindern in den Ohren gelegen hatte. Sie schrieb, dass sie sich mit achtundzwanzig Jahren für eine Abtreibung entschieden hatte, als sie nur sechs Monate nach der Geburt ihrer Tochter Katie wieder schwanger geworden war und an etwas litt, das man heutzutage wohl als Postpartale Depression bezeichnen würde. Jeannette dankte mir dafür, dass ich öffentlich meine Meinung gesagt hatte, und ich hätte sie am liebsten angerufen, um ihr die ganze Geschichte zu erzählen – aber ich tat es nicht, das konnte ich nicht.
Während Charlies erstem Gouverneurswahlkampf hatte mich einer von Hanks Untergebenen einer endlos langen Befragung unterzogen. Er ging mit mir jede Phase meines Lebens auf der Suche nach Geheimnissen oder kontroversen Themen durch. Über Andrew Imhof sprachen wir besonders lange – eine Boulevardzeitung stürzte sich einige Jahre später, im Jahr 2000, auf diese Geschichte, und ich ließ sie so schnell wie möglichdurch eine Pressesprecherin bestätigen –, und ich beantwortete damals jede Frage, die der Mann mir stellte. Aber ich lieferte keine zusätzlichen Informationen. Ich hatte am Abend zuvor darüber mit Charlie gesprochen, und er hatte gesagt, es wäre in Ordnung, wenn ich meine Abtreibung nicht erwähnte. Wenn es nie herauskommen sollte, war es auch nicht nötig, im Vorhinein darüber zu reden, und wenn doch, würde man sich eben
dann
darum kümmern müssen. Das Geheimnis präventiv preiszugeben – auf genau solche Enthüllungen waren die Fragen von Hanks Untergebenem ausgelegt – erschien mir als der sicherste Weg, es öffentlich zu machen, denn dann würde einer der Wahlkämpfer es dem nächsten anvertrauen, der wieder dem nächsten, und der letzte schließlich einem Journalisten.
In diesem Moment auf dem Rücksitz des Geländewagens jedoch ist dieses
dann
eingetreten,
dann
ist jetzt, heute. »Ist so eine Drohung nicht gesetzwidrig?«, frage ich
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