Die Frau des Praesidenten - Roman
versuchteich auch nicht, meinen Mann zu beeinflussen. Er hatte viele Berater, Männer und Frauen (in der Mehrzahl allerdings Männer), die seit Jahrzehnten Experten der Außenpolitik waren und die vorzeiten genau dieses Land schon bereist, genau diesen Diktator bereits kennengelernt hatten.
Inzwischen sind seit dem Kriegsbeginn vier Jahre vergangen. Dass ein Krieg, den einst 70 Prozent der Bevölkerung befürwortet haben, jetzt das Land spaltet und unpopulär geworden ist, hat Charlie nur entschlossener werden lassen – und in der zirkulären Gestalt, die solche Dinge annehmen, ist es gerade seine Entschlossenheit, die er mit der größten Entschlossenheit verteidigt. Der Durchschnittsamerikaner kennt die Geheimdienstinformationen nicht, zu denen er Zugang hat, wie er betont; er ist in Charlies Augen verzärtelt und vergesslich und an Blutvergießen und Selbstaufopferung nicht mehr gewöhnt. – Denkt an den Unabhängigkeitskrieg, sagt Charlie gern, an den Bürgerkrieg, an den Zweiten Weltkrieg. Demokratie hat ihren Preis, das war schon immer so. Vor neun Monaten, im September 2006, hat Charlie auf einer Pressekonferenz gesagt: »Jetzt die Truppen abzuziehen käme einer Kapitulation gleich, und ich werde nicht kapitulieren, selbst wenn Alice und Snowflake die Letzten wären, die hinter mir stehen.« (Snowflake ist natürlich unsere Katze, und zugleich ist sie meine Koautorin bei dem Titel
First Cat – Meine Erlebnisse im Weißen Haus
. Ich könnte nicht sagen, ob die Angelegenheit dadurch peinlicher oder weniger peinlich wird, dass ich von diesem Buch nicht mehr selbst geschrieben habe als Snowflake. Den Ruhm teilten wir uns jedenfalls, und der Gewinn floss vollständig einem Alphabetisierungsprogramm zu.)
Seit Charlies Vereidigung habe ich endlose Berechnungen angestellt: Wir haben zehn Prozent der Amtszeit hinter uns. Es sind noch 394 Wochen. Noch fünfeinhalb Jahre. Von seiner Wiederwahl bin ich von Vornherein ausgegangen, aber nicht, weil ich sie mir wünschte, sondern im Gegenteil – auf das, wonach wir uns am meisten sehnen, wollen wir uns am wenigsten verlassen; es ist leichter, an eine Möglichkeit zu glauben, von der man nicht möchte, dass sie eintritt.
All die Reden, die Charlie hält, aber auch meine eigenen, all die Fundraising-Veranstaltungen und Beerdigungen, die Staatsbesuche und Bälle, die Einweihungen und Empfänge und die aberhundert Briefe, die ich jede Woche bekomme und verschicke – all das hake ich auf einer riesigen Liste ab, zähle ich rückwärts mit. Es ist nicht so, dass ich an keiner meiner Verpflichtungen als First Lady Freude hätte. Das habe ich, und ich bin sehr dankbar dafür. Ich habe mich mit den großen Künstlern und Schriftstellern unserer Zeit getroffen, habe Königinnen und Könige, Häuptlinge und einen Kaiser kennengelernt. Ich habe vierundsechzig Länder bereist, auf einem Schiff auf der Newa Blinis mit Beluga-Kaviar probiert, bin bei den Pyramiden von Gizeh auf einem Kamel geritten und auf Pangkor Laut durch das kristallklare Wasser gewatet (geschwommen bin ich nicht, weil ich nicht im Badeanzug vor die Kameras treten wollte). Auf dem Flughafen von Asmara in Eritrea, einem Ort, den ich ohne Charlie besucht habe, wurde ich von den einheimischen Frauen zur Begrüßung mit Popcorn beworfen, in einem Waisenhaus in Bangalore trug ich einen Sari und las den Kindern mit Hilfe einer Übersetzerin
Der freundliche Baum
vor, und in Finnland habe ich am Ende eines wundervollen Abends, nach interessanten Gesprächen und einem wahren Festmahl aus Flusskrebsen, Rentierfleisch und Moltebeerkuchen, einen Fauxpas begangen, den ich nur mit meinem Jetlag erklären konnte, indem ich in einer offiziellen Ansprache zum finnischen Präsidenten sagte, ich würde die Gastfreundschaft des schwedischen Volkes nie vergessen. Ich hatte das surreale Erlebnis, die Bibel halten zu dürfen, während mein Mann seinen Amtseid ablegte (ich war sehr gerührt, und gleichzeitig ging mir unpassenderweise eine Zeile aus dem Folksong »Froggie Went A-Courtin’« durch den Kopf, den Ella als Kind gern gesungen hatte: »Without my Uncle Rat’s consent, I wouldn’t marry the president«), und nicht weniger surreal war mein Besuch in der Theodora Liess Elementary School, meiner ehemaligen Arbeitsstätte in Madison, anlässlich ihrer Umbenennung in Alice Blackwell School. (Ich konnte nur hoffen, dass Theodora, die Tochter eines Eisenbahnchefs von Milwaukeeund Mississippi im neunzehnten Jahrhundert, die sich
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