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Die Frau des Praesidenten - Roman

Die Frau des Praesidenten - Roman

Titel: Die Frau des Praesidenten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Curtis Sittenfeld
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für ihn und Erleichterung, die uns als Familie galt. Ich hatte nie gewollt, dass ersich 1994 in Wisconsin als Gouverneur zur Wahl stellte, und ebenso wenig, dass er dann für das Präsidentenamt kandidierte. Ich wusste, dass wir das, was wir vorher schon fast verloren hatten – die Möglichkeit, im Supermarkt einzukaufen, in Ruhe in einem Restaurant zu essen, alleine oder mit Freunden einen Spaziergang zu unternehmen oder einfach nur einen Samstagnachmittag ohne weitere Verpflichtungen zu Hause zu verbringen –, endgültig hinter uns lassen würden, wenn Charlie Präsident würde. Ich wollte nicht der Öffentlichkeit preisgegeben sein und unseren letzten Rest von Privatsphäre einbüßen, unsere letzten Verbindungen zum normalen Leben.
    Als sich die Entscheidung über den Ausgang der Wahl über einen Monat lang hinzog, igelten wir uns in unserer Gouverneursvilla in Madison ein. Ich las viel, besuchte Freunde zum Mittagessen und ging zu den Zusammenkünften einiger Organisationen, mit denen ich als First Lady Wisconsins zu tun bekommen hatte, während Charlie, Hank Ucker und wechselnde Berater, Anwälte und Verwandte dringende, konspirative Treffen abhielten und so weit wie möglich den Kontakt zu den Medien vermieden. Als am 12. Dezember, nach Neuzählungen und Gerichtsverhandlungen, Charlie zum Wahlsieger erklärt wurde, dachte ich:
Wir werden das durchstehen
. Natürlich gab es Risiken, aber wir würden seine Präsidentschaft genau so durchstehen, wie man eine Tornadowarnung durchsteht: den Kopf einziehen, die Arme über dem Hinterkopf verschränken. Nicht wörtlich genommen, natürlich – tatsächlich würde ich mich allen Erfordernissen des Amtes beugen und immer da sein, wenn es von mir erwartet wurde –, aber so wollte ich es sehen. Ich würde vier Jahre lang, wahrscheinlich sogar acht, die Luft anhalten und darauf warten, dass es vorbei war, und irgendwann wäre es dann auch vorbei. Ein Tornado ist zerstörerisch, aber er geht vorüber.
    Jedoch hatte ich dabei ganz außer Acht gelassen, unter welchen Umständen Charlie und ich uns damals verlobt hatten. Mitten im Unwetter hatte er seine Wohnung verlassen, war in sein Auto gestiegen und durch Hagel und Gewitter zu mir gefahren, war die Kellertreppe hinuntergerannt und hatte ummeine Hand angehalten. Er hatte dem Sturm die Stirn geboten, statt sich vor ihm zu verstecken. Und siehe da – es hatte funktioniert. Nach all den Jahren waren wir noch immer glücklich verheiratet.
    Was ich zu Beginn seiner Präsidentschaft auf ihn projiziert hatte, war eigentlich mein eigener Wunsch, keinen unnötigen Aufruhr zu verursachen, keine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken und mich nicht behaupten zu müssen, aber Charlie
liebte
es, sich zu behaupten. Ich weiß, dass es Stimmen gibt, die sagen, er oder irgendein Dunkelmann in seiner Regierung habe die Terroranschläge geplant, und diesen Gedanken finde ich lächerlich, gar nicht der Diskussion würdig. Aber es steht außer Frage, dass er auf diese Ereignisse reagiert hat; er hat sich der Herausforderung gestellt. Hat er fälschlicherweise die Anschläge mit dem Land in Verbindung gebracht, in das wir im März 2003 einmarschiert sind, von dem zu diesem Zeitpunkt andere, sehr viel geringere Gefahren ausgingen, und die Öffentlichkeit dazu gebracht, diesem Irrtum ebenfalls aufzusitzen? Ging es bei dem Einmarsch nur um Öl, und waren Charlies Versicherungen, Demokratie zu bringen, bloße Lippenbekenntnisse? Hat er sich leichtfertiger auf einen Krieg eingelassen, als er es getan hätte, wenn er selbst Erfahrungen beim Militär gesammelt hätte, statt die späten sechziger und frühen siebziger Jahre als Skilehrer zuzubringen? Das alles sind Anschuldigungen, die seine Kritiker gegen ihn vorbringen, und es mögen gerechtfertigte Fragen sein, aber was ich am politischen Diskurs am wenigsten mag, ist, dass alle so tun, als gäbe es darauf auch eindeutige Antworten, als würde sich nicht alles letztlich in Vagheit und subjektive Eindrücke auflösen. In den Tagen vor Kriegsbeginn im März 2003 wusste ich nicht, ob ich den Einmarsch befürwortete oder nicht, ob ich auf der Seite der Falken stand oder auf der der Demonstranten mit ihren Mahnwachen bei Kerzenschein. Wie zu College-Zeiten, als ich mich weder für noch gegen den Vietnamkrieg engagiert hatte, lag der Grund für meine passive Haltung nicht darin, dass es mich nicht interessiert hätte, sondern in meiner Unsicherheit. Da ich also nicht wusste, was ich denken sollte,

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