Die Frau des Praesidenten - Roman
bestand, war, dass die knappen Ergebnisse eine Neuzählung nötig machen würden und dass es wahrscheinlich noch mehrere Tage dauern würde, bis das Endergebnis feststand. Ich hätte selbst nicht erwartet, dass mich an einem so nervenaufreibenden Abend die Müdigkeit so überwältigen könnte, aber die letzten Tage der Wahlkampfkampagne waren besonders anstrengend gewesen, und mein Körper schrie geradezu danach, sich hinlegen zu dürfen. Ebenso überrascht war ich davon, dass es Charlie offenbar nicht anders ging. Im Lauf des späten Abends waren wieder einige Verwandte dazugekommen, und eine Gruppe von Zeitungs- und Fernsehreportern hatte uns mit ihren Kameraleuten und Fotografen einen Besuch abgestattet, und mir war aufgefallen, dass Charlie mehr und mehr meine Nähe suchte. Einmal hatte er, als ich kurz das Badezimmer aufsuchen wollte, wissen wollen, wo ich hinginge. »Kommst du auch gleich wieder?«, fragte er. Ich nickte. Und als ich um kurz vor vier sagte: »Ist es in Ordnung, wenn ich mich jetzt zurückziehe?«, antwortete er: »Weißt du was, ich komme mit.« Die ungefähr dreißig Menschen, die noch im Wohnzimmer versammelt waren, applaudierten, als Charlie hinausging, und er drehte sich noch einmal zu ihnen um und grinste verlegen.
Nachdem wir uns die Zähne geputzt und das Licht ausgemacht hatten, legte er im Bett seinen Kopf auf meine Brust, und ich strich ihm mit den Fingern durchs Haar. »Also, wie geht es jetzt weiter?«, fragte er.
»Oh, Schatz, das weiß ich auch nicht besser als alle anderen.«
»Aber was glaubst du?«
»Ehrlich, Liebling, ich habe …«
Er unterbrach mich. »Ich habe mir gedacht, ich könnte der neue Baseball-Commissioner werden. Das wäre doch perfekt, meinst du nicht?«
Von dieser Idee hörte ich zum ersten Mal, aber sie klang plausibel. »Okay«, sagte ich.
»Das wäre was für mich – anspruchsvoll, aber nicht zu stressig, und ich könnte alle Fähigkeiten gebrauchen, die ich mir erarbeitet habe. Aber von dieser nervtötenden Staatspolitik, von den dreistündigen Besprechungen über Grundwasser oder Arbeitsverhältnisse oder irgendeine Molkereiverordnung von 1850, habe ich die Nase gestrichen voll.«
»Wird der Posten bei der MLB denn bald frei? Das macht doch jetzt Wynne Smith, oder?«
»Ich werde mal meine Fühler ausstrecken. Smith geht stramm auf die siebzig zu, also haben die bestimmt nichts gegen jemand Jüngeres.«
»Aber vergiss nicht, dass du noch zwei Jahre als Gouverneur vor dir hast.«
Charlie schwieg einen Augenblick, dann sagte er: »Fändest du es furchtbar, wenn ich zurücktreten würde? Monty käme schon zurecht.« Monty war Ralph Montanetti, der Vizegouverneur.
»Würdest du denn nicht bis zum Ende deiner Amtszeit weitermachen wollen?«, fragte ich.
»Dieser Wahlkampf war mörderisch, das muss ich dir ja nicht erzählen, aber unter uns gesagt, habe ich auch langsam das Gefühl, dass die Luft raus ist. Ich weiß jetzt schon, dass Hank vorhaben wird, 2004 weiterzumachen, aber ich glaube nicht, dass es das noch wert ist. In letzter Zeit erinnert mich die Vorstellung, eine Wahl zu gewinnen, an diesen Spruch über Leute, die in einer Kanzlei einsteigen – Du gewinnst ein Kuchenwettessen, und der erste Preis ist noch mehr Kuchen.«
»Würdest du mir einen Gefallen tun?«, sagte ich. »Denk bitte immer daran, dass wir es gut haben werden, egal, was passiert.Ob du Politiker bleiben willst, ob du wieder beim Baseball einsteigst, ob du dich einfach nur entspannen willst …«
Charlie war inzwischen vierundfünfzig Jahre alt, und es wäre keine Schande gewesen, mit dem Arbeiten aufzuhören – er konnte, wenn er wollte, in den Vorruhestand gehen, wir konnten reisen, wir konnten uns sogar ein eigenes Sommerhaus zulegen, vielleicht in Minnesota oder Michigan, und dort konnte er angeln und ich lesen. »Du hast Glück, dass dir so viele Möglichkeiten offenstehen, dass du so viele Unterstützer und Bewunderer hast«, sagte ich. »Das ist doch das Entscheidende.«
Charlie hob den Kopf und drehte ihn so, das wir uns in der Dunkelheit in die Augen sehen konnten. Aus dem Wohnzimmer am anderen Ende des ersten Stockwerks drangen die Geräusche des Fernsehers und der Leute zu uns herüber, die noch aufgeblieben waren. Er sagte: »Als sie durchsagten, dass ich Florida nicht gekriegt habe, war ich stinksauer. Wie oft waren wir da unten? Fünfzehnmal? Und jetzt machen sich die Säcke von der liberalen Presse bestimmt vor Glück in die Hosen: Sie durften erst sagen,
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