Die Frau des Praesidenten - Roman
Rentenversicherungsreform sabotieren?«
Es läuft schon auf allen Kanälen? Edgar Franklin ist erst vor ein paar Minuten aus meinem Auto ausgestiegen. Aber vielleicht haben die Reporter es bereits geahnt, als er noch in der Limousine saß, und haben sich auf spekulative Live-Berichterstattung verlegt.
»In fünf Minuten bin ich zu Hause«, sage ich. »Könntest du vielleicht auf mich warten, bevor du dich allzu sehr aufregst?«
»Siehst du, das hatte ich schon wieder vergessen«, sagt er, und selbst jetzt, nachdem wir schon so lange jegliche Privatsphäre verloren haben, frage ich mich, wer noch alles mithört.»Alle zehn Jahre langst du ins Klo und reibst mir das, was du da hervorholst, gründlich rein.«
Früher, als ich einunddreißig Jahre alt war und Charlie für den Kongress kandidierte, habe ich noch geglaubt, ich könnte mit ein bisschen Übung während seiner Ansprachen einen Roman in meiner Handtasche verstecken und heimlich darin lesen, aber darin habe ich mich geirrt: Journalisten und andere Zuhörer sehen oft zur Ehefrau des Kandidaten am Rednerpult hinüber, um ihre Reaktionen mitzubekommen. Ungefähr zur selben Zeit, der Zeit, als Charlie und ich uns ineinander verliebten, glaubte ich auch, ich könnte ihm als Mensch Halt geben, ohne ihn als Politiker zu unterstützen. Das sagte ich ihm, und er glaubte es auch. »Ich muss es ja niemandem
sagen
, wenn ich nicht deiner Meinung bin«, sagte ich. »Das geht nur uns etwas an.«
Die Gala zu meinen Ehren, zu der gut dreihundert Gäste gekommen sind, ist schön, überfüllt und ein bisschen zu bombastisch. Charlie und ich sitzen nebeneinander in der ersten Reihe, und nachdem die Drittklässler »God Bless America« gesungen haben und ein winziger zwölfjähriger Junge von seiner Mutter im Rollstuhl auf die Bühne geschoben worden ist, um mit uns allen den Pledge of Allegiance aufzusagen, werden Reden gehalten: eine von dem Direktor einer staatlichen Highschool in Anacostia, eine von einem Fünftklässler aus einer Schule in Bethesda, Maryland, und eine von einem demokratischen Senator, der dafür bekannt ist, sich regelmäßig für bildungsrelevante Gesetzesentwürfe einzusetzen. Danach führen drei Neunjährige in engen Gymnastikanzügen zu R. Kellys »I Believe I Can Fly« eine Twirling-Einlage auf, zwei namhafte Broadway-Schauspielerinnen übernehmen in einer Szene aus dem Stück
Der Weg ins Licht
die Rollen der Helen Keller und der Annie Sullivan, und eine Zwölftklässlerin trägt Langston Hughes’ Gedicht »Theme for English B« vor, eine Afroamerikanerin, die schätzungsweise fünfundzwanzig Kilo Übergewicht hat, sehr hübsch ist und eine erstaunliche Bühnenpräsenz besitzt.
Anschließend werden drei Lehrerinnen und Lehrern Preise verliehen, chromglänzende Äpfel auf hölzernen Sockeln, die ihnen von den Schülern überreicht werden, die sie auch nominiert haben. Und zum Abschluss versammeln sich alle, die an den Aufführungen teilgenommen haben, noch einmal auf der Bühne, und zwei von ihnen entrollen ein bestimmt zwölf Meter langes Spruchband, auf dem steht: Danke, dass Sie sich für uns einsetzen, Mrs. Blackwell. Ich bin während der Preisverleihung an die Lehrer unauffällig hinter den Kulissen verschwunden und betrete jetzt, wie geplant, lächelnd und winkend die Bühne. Am Rednerpult überreichen mir zwei Neuntklässlerinnen ebenfalls eine Apfeltrophäe, die einen Durchmesser von mindestens dreißig Zentimetern hat (wenn das Requisit so realistisch groß wäre wie die der Lehrer, würde es auf den Fotos nicht eindrucksvoll genug wirken, und ich bin tatsächlich fast geblendet von dem Blitzlichtgewitter, das in diesem Moment losbricht). Ich halte keine richtige Rede, sondern sage nur: »Vielen herzlichen Dank. Ich möchte Ihnen allen dafür danken, dass Sie gekommen sind. Das war ein sehr eindrucksvoller Abend, und ich fühle mich geehrt, dass sich so viele außergewöhnliche Talente hier versammelt haben. Euch jungen Leuten möchte ich mit auf den Weg geben, dass Bildung euch voranbringen wird, wo auch immer ihr hinwollt. Und jetzt würde ich vorschlagen, weil morgen schließlich Schule ist, dass ihr alle nach Hause geht, nachschaut, ob ihr eure Hausaufgaben gemacht habt, und zuseht, dass ihr noch eine Mütze voll Schlaf bekommt.« (Es ist keine Rede, aber selbst diese paar Worte habe ich nicht selbst geschrieben.) Normalerweise wäre es mir furchtbar unangenehm, dass so viel Aufwand um mich betrieben wird, aber nach diesem
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