Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
nichts anderes übrig, als auch abzusteigen und neben Walther herzulaufen.
Nachdem die Landschaft lange Zeit eine weite Sicht bot, gelangten sie nun in ein dichter bewachsenes Gebiet. Der dunkle, fast unheimliche Wald machte eine Orientierung so gut wie unmöglich. Umso glücklicher waren sie um jeden, der ihren Weg kreuzte und den sie nach der Richtung fragen konnten. Walthers Sprachkenntnisse erwiesen sich in diesen Momenten als unverzichtbar.
Nachdem sie schon lange niemandem mehr begegnet waren, sahen sie von Weitem endlich einen fahrenden Händler. Anfangs blickte er etwas misstrauisch, schließlich konnte man nie vorsichtig genug sein, doch nach einer freundlichen Begrüßung wurde er aufgeschlossener.
»Guter Mann, könnt Ihr uns vielleicht den rechten Weg weisen? Wir sind fremd hier und wollen uns nicht verirren.«
»Wo soll es denn hingehen?«, fragte er daraufhin freundlich.
»Nach Aldessen.«
Der Händler überlegte kurz und drehte sich dabei in alle Himmelsrichtungen. »Diese Frage ist nicht so einfach zu beantworten. Von hier aus führen nämlich mindestens zwei Wege nach Aldessen. Ein kürzerer, aber gefahrenreicherer Weg und ein längerer, sicherer Weg. Wenn Ihr mich fragt, dann solltet Ihr zunächst nach Varel reiten, wo Ihr einen Tag lang ausruhen könnt. Von dort aus wendet Ihr Euch dann nach Norden, um Aldessen zu erreichen.«
Thiderich verstand die Erklärung des Mannes zwar nicht vollständig, aber einzelne Worte konnte er bereits deuten. Das Wort Gefahr hatte er erkannt und drängte Walther daraufhin, genauer nachzufragen.
»Welche Gefahren sind das, von denen Ihr sprecht?«
Der Händler musterte Thiderich vom Scheitel bis zur Sohle und sagte dann lächelnd zu Walther: »Aha, Euer Freund hat es entweder besonders eilig, oder er ist besonders wagemutig. Doch ich warne Euch; nach diesem Wald wird das Gebiet bis nach Aldessen von tückischen Sümpfen und unzähligen Bächen und Flüssen durchzogen. Wenn Ihr dort nicht feststecken oder Euch verirren oder gar ertrinken wollt, dann solltet Ihr Euch an die größeren Wege halten und keine Abkürzungen nehmen – auch wenn das einen Umweg bedeutet.«
Walther dankte dem Händler und verabschiedete sich. Es dauerte nicht lange, da fing Thiderich auch schon an, ihn ungehalten auszufragen. Er hasste es, dass er nichts verstand und auf seinen jüngeren Gefährten angewiesen war.
Walther wusste das und war klug genug, um Thiderich gar nicht erst etwas von möglichen Abkürzungen zu erzählen. »Der Mann hat gesagt, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden. Wir müssen zuerst nach Varel und dann nach Norden, in Richtung Aldessen gehen.«
Am Abend des wohl angenehmsten Tages für Millie und des wohl anstrengendsten für ihre Reiter erreichten sie die Stadt Varel. Seinem Ziel nun so greifbar nahe, wäre Thiderich am liebsten sofort wieder losgezogen, doch die Dunkelheit machte ein Weiterkommen absolut unmöglich. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als hier tatsächlich die Nacht zu verbringen, und so suchten sie eine Herberge für sich und das Pferd und fanden sich wenig später in einer Schankstube wieder. Die Vareler waren freundliche und geschwätzige Kerle. Als sie sich zu zwei kleinen, runden Männern an den Tisch setzten, die allem Anschein nach Bauern waren, kamen Thiderich und Walther schnell mit ihnen ins Gespräch.
»Ihr seid nicht von hier, richtig?«, fragte ein Blonder mit auffallend großer Unterlippe.
»Das stimmt, wir kommen von Osten her und sind auf der Durchreise«, bestätigte Walther, der nicht zu viel erzählen wollte. »Was ist mit euch beiden? Seid ihr aus Varel?«
»Wir sind auch auf der Durchreise«, sagte der Dunkelhaarige schelmisch grinsend. »Nur mit dem Unterschied, dass wir bloß von unseren Feldern in die Schenke und wieder zurück reisen.« Daraufhin fing er dröhnend an zu lachen, und auch alle anderen, die seine Worte gehört hatten, begannen heiter mitzulachen. Sie hielten sich die Bäuche, hämmerten mit den Fäusten auf den Tisch und prosteten einander zu.
Einer der beiden friesischen Tischgenossen wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln und sagte zu Walther: »Lasst uns zusammen trinken – ganz gleich, woher ihr kommt.« Dann begann ein fröhliches Besäufnis. Immer wieder kam die Wirtsfrau zu ihrem Tisch, um neue Krüge voller Bier zu bringen, die alle vier prompt in sich hineinkippten. Schon bald war es um jede Beherrschung geschehen. Hemmungslos rissen sie Witze auf Kosten anderer
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