Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
zu erzählen.
Zunächst sprach er von Ragnhild – der wunderschönen Ragnhild und ihrem Haar. Unkontrolliert wankend holte er den Beutel mit ihrer Haarsträhne hervor und ließ Walther einen Blick hineinwerfen. Als dieser sie aber anfassen wollte, zog er den Beutel wieder zu und sagte lallend, dass das seine Strähne sei und sie niemand außer ihm anfassen dürfe.
Walther lachte besoffen und hätte sicher vergessen, Thiderich nach dem Rest der Geschichte zu fragen, wenn dieser nicht von selbst weitererzählt hätte. Mit umständlichen Worten und viel Gekicher dazwischen erklärte er Walther seinen Auftrag. Immer wieder wurden sie von ihren neuen Saufkumpanen unterbrochen, weil diese mit ihnen die Becher erheben wollten. Die Friesen waren neugierig und wollten wissen, was sein fremdländischer Freund sagte. In seinem Rausch übersetzte Walther Thiderichs Erzählungen, was bei den Männern immer wieder brüllendes Gelächter auslöste – sei es, weil sie seine Geschichte für erfundenen Schwachsinn hielten oder weil sie den Klang seiner Worte lustig fanden.
Am nächsten Morgen war es Thiderich, der zuerst erwachte. Er brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, wo er sich befand. Dann fiel es ihm wieder ein. Varel! Der Auftrag! Sie mussten weiter! Als er sich aber erheben wollte, war ihm, als ob jemand seinen Kopf mit einem Schmiedehammer bearbeitet hätte. Stöhnend ließ er sich wieder zurückfallen und hielt sich die Stirn. Dann sah er sich mit halb geöffneten Augen um. Wo genau befand er sich? Ach ja, die Herberge. Er hatte wirklich nicht die geringste Ahnung, wie er des Nachts hierhergekommen war. Mit langsamen Bewegungen drehte er den Kopf. Neben ihm auf dem Boden lag Walther. Um ihn herum war es verdächtig nass, und der ganze Raum war erfüllt von dem Gestank des Erbrochenen.
Er selbst lag auf etwas Ähnlichem wie einem Strohsack, dessen Gestank den der Kotze fast übertraf. Thiderich meinte das Ungeziefer im fauligen Stroh rascheln zu hören und ekelte sich fürchterlich. Doch er sah sich derzeit einfach außerstande, auch nur einen Fuß aufzustellen. Mit rauer Stimme rief er Walthers Namen. So schwer es ihm auch fiel, sie mussten weiter; das Ziel war nicht mehr fern. »Walther, wach auf! Walther … rühr dich endlich!«
Unter brummenden Lauten fing der Gerufene an, sich langsam zu bewegen.
Thiderich dachte mit einem schmalen Lächeln, dass es seinem Reisegefährten wohl noch den Rest des Tages schwerfallen würde, seine Knochen zu bewegen, wenn er tatsächlich die ganze Nacht so verdreht wie jetzt dort gelegen hatte. Doch Walther stellte sich als der Tapferere der beiden heraus, denn er gab sich einen Ruck und erhob sich; allerdings nur, um sich gleich darauf wieder in eine Ecke der Kammer zu übergeben.
Es war bereits spät am Tage, als die beiden Männer sich endlich aufrafften, um den Weg zu Millies Stall anzutreten. Der Stall befand sich am Rande der Stadt. Hier konnten Reisende ihre Pferde gegen Bezahlung unterstellen, um sie dann, gestärkt und ausgeruht, wieder abzuholen, sobald die Reise weiterging.
Millie sah Thiderich schon von Weitem und wieherte ihm freundlich zu, was ihrem Reiter ein Lächeln auf die Lippen zauberte. So störrisch sie auch manchmal war, er musste zugeben, dass Millie ihm ans Herz gewachsen war. Bereits vor einigen Tagen hatte er sich vorgenommen, von dem Lohn, den er bei seiner Rückkehr noch von der Dame Ragnhild erhalten würde, die Stute zu kaufen. Er war sich sicher, dass eine Dame von Stand mit einem solchen Pferd nichts würde anfangen können und sie ihm Millie gerne überließ.
Sie zahlten den Stallmeister aus und machten die Stute bereit für die Weiterreise. All dies geschah vollkommen wortlos, denn beide Männer hatten noch mit immer wieder aufkeimender Übelkeit zu kämpfen.
Mit einem Mal verließ der gemütliche Stallmeister übereifrig den Stall. Anscheinend lockte ihn neue Kundschaft; und wie sein unterwürfiges Verhalten verriet, schienen es zahlungskräftige Kunden zu sein.
Walther, dem der Geruch des Pferdestalls Kopfschmerzen bereitete, entschied, ebenfalls an die frische Luft zu gehen. Er beobachtete müde, wie der Stallmeister die Zügel zweier edler Pferde ergriff.
Auf Friesisch erklärte einer der Reiter, dass der Stallmeister sich gefälligst persönlich um ihre Pferde zu kümmern habe. Mit vielen Verbeugungen und Kopfnicken bejahte dieser die Wünsche seiner Kunden und versicherte ihnen wortreich, alles zu ihrer Zufriedenheit zu
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