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Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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Wirtshausbesucher oder hauten der Wirtsfrau so heftig auf ihr Hinterteil, dass sie sich nur noch mit Ohrfeigen zu helfen wusste. Trotzdem war die Stimmung friedlich, und niemand suchte ernsthaft Ärger. Irgendwann beendete Thiderich dennoch das Spiel mit der Wirtsfrau. Seit dem grauenhaften Zwischenfall, den er mit den Oldenburger Rittern in Rechtenfleth erlebt hatte, war ihm nicht mehr danach, Wirtsfrauen zu ärgern.
    »Mein Freund hat recht, lassen wir sie in Ruhe, sonst bringt sie uns kein Bier mehr«, entschied Walther lachend. »Erzählt mir lieber, wie wir morgen von hier nach Aldessen kommen. Ein fahrender Händler sagte, es läge im Norden.«
    Die beiden Bauern schauten Walther etwas verblüfft an. Sie waren zwar echte Trunkenbolde, aber auch stolze Friesen, wie sich herausstellte. Selbstbewusst sagte einer von ihnen: »Du bist wahrlich kein echter Rüstringer, mein Freund. Ansonsten wüsstest du den Weg dorthin. Weißt du denn überhaupt, wo du dich jetzt gerade befindest?«
    »Was meinst du? Ich sehe nichts, was diesen Ort bedeutsamer macht als andere.«
    »Ha, wenn du wüsstest«, lallte der Blonde im Suff und setzte sogleich mit geschwellter Brust zu einer Erklärung an, die trotz seiner schweren Zunge flüssig kam. »Varel ist sehr wohl bedeutend – und zwar für Rüstringen. Unser Gau ist in vier Teile aufgeteilt, und wir sind gerade im Quadranten Varel. Bloß Aldessen, Langwarden und Blexen sind ähnlich wichtig und haben auch eine Gaukirche. Unsere ist sogar aus Stein und steht schon seit über hundert Jahren«, erklärte er mit unverhohlenem Stolz. »Außerdem hat Varel das Rüstringer Sendrecht inne, was heißt, dass hier eine Stätte der geistlichen Gerichtsbarkeit ist. So, nun weißt du, was so besonders an diesem Ort ist.«
    Walther hob kapitulierend die Hände und erwiderte nichts mehr. So interessant die Gespräche mit den Friesen auch waren, er hatte mit der Zeit wirklich Mühe, den Worten seines Gesprächspartners zu folgen. Auch seine Übersetzungen an Thiderich wurden immer wirrer, denn das Gesöff in seinem Becher war stärker als das, was er aus seiner Heimat kannte. Doch er amüsierte sich prächtig; hatte er sich doch genau danach gesehnt. Freiheit und Abenteuer. Nun saß er hier, in der Fremde, zusammen mit einem Fremden, und soff fremdartiges Bier.
    Thiderich war zunächst noch etwas mulmig zumute. Seine Erfahrungen mit den Friesen waren bisher eher wechselhaft gewesen. Zudem begegnete ihnen hier, im tiefsten Rüstringen, so gut wie niemand mehr, der seine Sprache sprach. Doch in den letzten Tagen hatte er festgestellt, dass ihm sehr viel mehr Freundlichkeit entgegengebracht wurde, seitdem er mit dem sprachkundigen Walther unterwegs war. Die Einheimischen hielten ihn somit für einen Freund der Friesen und hießen ihn deshalb willkommen. »Weißt du was, mein Freund, die Friesen sind doch nicht alle schlechte Leute«, faselte Thiderich betrunken in Walthers Richtung. »Doch weißt du, was mich wundert? Warum sitzen die hier herum und saufen? Haben sie denn keine Herrschaft, die ihnen Beine macht?«
    Walther musste eine ganze Weile über die zwei Sätze seines Freundes nachdenken. Dann erst antwortete er: »Nein, die Friesen sind alle frei wie die Vögel. Sie haben bloß Redjeven.«
    Thiderich kicherte betrunken. »Revedejen? Was ist das?«
    » Redjeven «, wiederholte Walther langgezogen. »Das sind so etwas wie Richter.« Dann lachte auch er über Thiderichs Zustand und zeigte spöttisch mit dem Finger auf ihn. Seine fröhliche Art steckte jeden um ihn herum an, und nach kürzester Zeit in der Schenke geschah es, dass alle Tischnachbarn den beiden Fremden zutranken. Der Abend zog sich immer weiter in die Länge, und als weder Walther noch Thiderich kaum mehr verständlich sprechen konnten, hängte Walther seinen Arm schwer über die Schultern seines Reisegefährten. Mit bleierner Zunge sprach er Thiderich in unaufgefordert vertraulicher Weise an: »Sag, mein Freund. Findest du nicht, dass jetzt ein guter Zeitpunkt wäre, mir zu sagen, was für einen Auftrag du verfolgst?«
    Thiderich war zunächst von der Frage und der freundschaftlichen Anrede überrumpelt und wollte den Arm Walthers abschütteln, doch diese Handlung hätte wahrscheinlich seine derzeitigen Kräfte überschritten, und so blickte er zunächst tief in seinen leeren Becher und winkte dann schwankend die Wirtsfrau heran. Nachdem er ihr ohne Worte klargemacht hatte, dass er noch mehr trinken wolle, fing er nun doch an

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