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Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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eingefallen, und ihr Haar wirkte fahl. Unentwegt plapperte sie wirres Zeug vor sich hin. Hilda drang nicht mehr zu ihr durch.
    Die Magd fragte sich, wie sie der kleinen Runa nur erklären sollte, dass ihre Mutter ins Kloster ging. Sie hatte keine Antwort darauf. Alles in ihr sträubte sich bei dem Gedanken, ihre Freundin in dieser Verfassung gehen zu lassen. Aber so, wie ihr derzeitiger Gemütszustand war, konnte sie sich tatsächlich nicht um ihre Kinder kümmern. Das Einzige, was Hilda beruhigte, war die Tatsache, dass Ragnhild sich in die Obhut des barmherzigen Herrgottes begab. Sicher würde er Gnade mit ihr walten lassen oder ihr die sündigen Gedanken ihres Freitodes gar vollends verzeihen, wenn sie sich im Kloster gut betrug.
    In diesem Moment kam Luburgis herein.
    »Es ist Zeit. Die Schwestern sind da, um Ragnhild abzuholen.«
    Hilda bekam einen Schock. Schon so früh? Ragnhild hatte sich doch noch gar nicht von ihren Kindern verabschiedet. Trotz der Gefahr, von Luburgis aufs Schärfste zurechtgewiesen zu werden, wagte sie es, mit gesenktem Kopf vorzutreten und zu sprechen. »Herrin, vielleicht möchte die Mutter sich noch von ihren Kindern verabschieden?«
    Wie erwartet, stieg Luburgis die Zornesröte ins Gesicht. Mit schmalen Lippen und stocksteifer Haltung sagte sie: »Ragnhild ist keine Mutter mehr. Diese Kinder sind ab jetzt die meinen. Merk dir das!«
    In diesem Moment hob Ragnhild den Kopf. Ihr war, als ob der Nebel in ihrem Kopf sich für einen winzigen Moment verdünnte. Klar und deutlich vernahm sie die Worte Luburgis’ und blickte ihrer Schwägerin direkt in die Augen. Dann ging ein Ruck durch ihren Körper, und sie schoss an der völlig überrumpelten Hausherrin vorbei. Fast schon rannte sie in die Handarbeitskammer, in der Runa mit den Zwillingen saß. Hinter sich schloss sie die Tür und rückte eine schwere Truhe davor. Dann drehte sie sich langsam um und ging lächelnd zu ihren Kindern. Sie beugte die Knie und breitete einladend die Arme aus. Sofort lief Runa zu ihr und schmiegte sich eng an ihre Mutter. Sie sprachen kein Wort. Ragnhild streichelte das Haar ihrer Tochter und weinte.
    Das Pochen und Poltern und all die Rufe hinter sich überhörte sie einfach. Mit Runa auf dem Arm erhob sie sich und ging zu ihren Zwillingen. Einzeln streichelte sie ihre Wangen.
    Der Schmächtigere, Johannes, hatte mit der Zeit immer mehr die Züge seines Vaters angenommen. Mit wachem Blick schaute er zu seiner Mutter auf. Die Fäustchen wild schwingend, brabbelte er vor sich hin. Godeke, der Kräftigere, hatte mittlerweile noch dichteres und dunkleres Haar bekommen. Auch er war wach und sah seine Mutter direkt an.
    Ragnhild wusste, dass sie ihren Kindern eine lange Zeit nicht mehr so nah sein würde wie in diesem Moment. Doch sie wusste nicht, wie sie diese Zeit überstehen sollte. Wenn es ihr doch nur gelingen würde, diesen Augenblick festzuhalten. Was konnte sie schon tun, außer sich jede ihrer Regungen einzuprägen?
    Das Hämmern an der Tür und die Rufe wurden stetig lauter und eindringlicher. Ragnhild konnte hören, wie ein kräftiger Körper sich immer wieder gegen die Holztür warf. Gleich würden sie die Truhe weit genug weggerückt haben, um durch den Türspalt zu schlüpfen.
    Noch ein letztes Mal sah sie alle drei Kinder genau an, küsste und herzte jedes einzelne so lange, bis sie von hinten gepackt und Runa ihr brutal aus den Armen gerissen wurde. Ohne sich weiter zu wehren, ließ sie alles mit sich geschehen.
    Runa schrie verzweifelt und reckte ihre Arme in Ragnhilds Richtung. Wild schlug und trat sie um sich, während Conrad versuchte, sie von ihrer Mutter wegzuzerren. Das Mädchen kämpfte so lange, bis ein harter Schlag ihres neuen Vaters sie auf die Wange traf. Die Wucht des Hiebes schleuderte sie im hohen Bogen in eine Ecke. Daraufhin gab sie auf. Sie rollte sich dort, wo sie liegen geblieben war, zusammen und begann bitterlich zu weinen.
    Ragnhild war unfähig, sich zu rühren. Gepackt von, wie ihr schien, zehn Händen, musste sie mit ansehen, wie Conrad ihr geliebtes Kind schlug. Machtlos schloss sie die Augen und ließ sich hinausgeleiten. Sie nahm kaum noch wahr, was um sie herum passierte. Der Nebel in ihrem Kopf war zurückgekehrt, und so verging der Weg aus dem Haus, durch die Stadt und hinein ins Kloster der Blauen Schwestern wie im Fluge.
    Gleich nach ihrer Ankunft wurde Ragnhild von zwei ältlichen Beginen-Schwestern in eine kleine Kammer gebracht. Dort rollte sie sich, genau wie

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