Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
andere Möglichkeit, als einfach weiterzumachen. Es war unabdingbar, dass Ragnhild freiwillig zu den Blauen Schwestern ging – wie es eben den Aufnahmebedingungen entsprach.
Möglicherweise war das Gebräu zu stark. Sie musste mit Heseke sprechen. Voller Wut über ihren erneuten Misserfolg hielt sie das dicke, blonde Haar von Ragnhild fest in einem Zopf zusammen. Ohne es zu merken, zerrte sie den Kopf der Witwe daran immer weiter zurück. Als sie sich dessen gewahr wurde, ließ sie ihn mit einem Stoß wütend los, sodass der geschwächte Körper ihrer Schwägerin wie ein nasser Sack vornüber in die Laken fiel. Dort blieb er einfach liegen, verdreht, wie er war. Als Luburgis mit schnellen Schritten aus der Kammer hastete, befand sich Ragnhild schon längst wieder in ihrer wirren Traumwelt.
Nachdem der gewünschte Erfolg bislang ausgeblieben war, hatte Heseke die kräuterkundige Ingrid aufgefordert, das betäubende Gebräu für Ragnhild weniger stark zu dosieren. Von einer ewig im Schlaf befindlichen Ragnhild würden sie schließlich keine Zustimmung zum Beitritt in das Kloster der Beginen erhalten.
Hesekes Unzufriedenheit über den schleppenden Vorgang der Ereignisse ließ sich kaum verbergen. Warum schaffte es Luburgis nicht endlich, der Witwe ihr Wort abzuringen? Von ihrem Mann Johannes wusste sie, dass der Rat bereits ungeduldig wurde. Obwohl Conrad ihr Muntwalt war, stand es Ragnhild als Witwe dennoch frei zu wählen, ob sie noch einmal heiraten oder ihr Leben lieber Gott in einem Kloster widmen wollte. In den meisten Fällen entschieden sich Frauen mit Kindern allerdings für eine weitere Hochzeit, aus Angst, sie ansonsten gänzlich zu verlieren. Auch bei Ragnhild ging man davon aus, dass sie viel eher noch einmal heiraten würde. Darum war es so wichtig, ihren freiwilligen Eintritt bei den Beginen-Schwestern alsbald verkünden zu können.
Conrad besänftigte den Rat bisher mit der Erklärung, dass es der Witwe nicht gut genug gehe, da der Tod ihres Gemahls ihren Geist geschwächt habe. Dass er aber tatsächlich nicht wusste, wie lange dieser Zustand noch anhalten würde, machte ihn mehr als unruhig. Conrad befand sich unter enormem Druck. Schließlich hatte er den Rat bereits über die verabredete Hochzeit mit Symon von Alevelde in Kenntnis gesetzt. Dass dieser Plan dank seiner Erpresser bereits inoffiziell keine Gültigkeit mehr hatte, durfte offiziell nicht bekannt werden, wenn er nicht wieder im Verlies landen wollte. Conrad hatte wirklich nicht die geringste Ahnung, was er tun sollte, wenn Ragnhild nicht endlich einwilligte.
Obwohl der Nebel in ihrem Kopf noch nicht ganz verschwunden war, fühlte sich Ragnhild heute das erste Mal kräftig genug, um das Bett zu verlassen. Sie wollte hinaus, weg aus dieser Kammer und raus an die Luft. Heute war Wochenmarkt, und sie beschloss kurzerhand, mit Runa hinzugehen. Entgegen Hildas eindringlichen Worten, sich noch weiter auszuruhen, verließ sie das Haus.
Runa plapperte auf ihre Mutter ein, doch trotz ihres Alters merkte sie schnell, dass Ragnhild ihr nicht recht zuhörte. Ihre Mutter war in Gedanken.
Ragnhild hatte das Gefühl, seit einer Ewigkeit nicht mehr klar gedacht zu haben. Was war in den letzten Tagen geschehen? Bilder erschienen vor ihrem inneren Auge. Bilder von Luburgis und ihr, von Hilda und von Runa – doch sie wusste nicht mehr zu unterscheiden, was davon Traum war und was Wirklichkeit. Ragnhild dachte an die Zukunft. Was würde sie bringen? Schon seit Wochen war sie Symon von Alevelde versprochen; die Suche nach Albert hatte die Hochzeit nur verzögert. Jetzt, da sein Tod gewiss war und sie sich auf dem Wege der Besserung befand, würden die Hochzeitsfeierlichkeiten sicher nicht mehr lange auf sich warten lassen. Ragnhild hatte gelernt, mit dem Gedanken zu leben, schließlich brachte diese Ehe auch ihr Gutes – sie würde ihre Kinder bei sich haben. Instinktiv wurde ihr Griff um Runas Hand fester, bis diese anfing, sich zu beschweren.
»Mutter, du zerdrückst meine Finger.«
Sofort lockerte Ragnhild den Griff. »Bitte entschuldige, mein Schatz.«
Das Gedränge wurde dichter, je näher sie dem Markt kamen. Wegen des milden Wetters waren fast alle Frauen der Stadt hinausgeströmt. Ragnhild bedeutete Runa, dicht bei ihr zu bleiben. Sie wusste, dass ihre Tochter es hasste, die ganze Zeit über an ihrer Hand zu gehen, und darum erlaubte sie ihr, sich ein Stückchen zu entfernen; doch nur solange sie sie noch sehen konnte.
Ragnhild selbst
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