Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
Vom Netzwerk:
Aufgabe an sich zu reißen, ohne dass eine der anderen Schwestern Verdacht über ihre wahren Gründe schöpfte. Wenn sie Ragnhild weiterhin unbemerkt mit ihren Boshaftigkeiten quälen wollte, durfte keiner wissen, wie es wirklich in ihr aussah. Seit ihre Feindin mit ihr unter einem Dach lebte, war Ingrid regelrecht aufgeblüht. Ihr Leben hatte nun einen neuen Sinn, und ihre Motivation war Rache. Sie war noch lange nicht fertig mit Ragnhild.
    »Meine lieben Schwestern«, sprach die Magistra über die lange Tafel im Speisesaal des Klosters hinweg. »Wer ist bereit, sich unserer neuen Schwester Ragnhild anzunehmen und ihr in der ersten Zeit beizustehen?«
    Ragnhild konnte anhand der ihr freundlich zugewandten Mienen sehen, dass wohl alle dazu bereit gewesen wären, doch bevor eine von ihnen das Wort ergreifen konnte, erhob sich zu Ragnhilds Schrecken ihre Feindin Ingrid.
    Mit gesenktem Blick und schüchterner Haltung äußerte sie ihr Anliegen. »Werte Mutter Magistra, bitte übertragt mir das Amt. Wie Ihr alle wisst, verbindet mich und Schwester Ragnhild eine gemeinsame Vergangenheit. Doch ich bin nicht frei von schlechten Gedanken. Ich habe mich der Sünde des Neides und des Hasses schuldig gemacht, und ich möchte mich davon befreien, indem ich meiner lieben Mitschwester Gutes tue. Bitte lasst mir diese Ehre zuteilwerden.«
    Ragnhild trat der kalte Schweiß auf die Stirn. Gütige Muttergottes, bitte nicht Ingrid, flehte sie innerlich. Niemand außer ihr schien zu bemerken, dass die Begine ihre Demut bloß spielte. Vielmehr war das Gegenteil der Fall. Die Magistra bekam augenblicklich einen weichen Gesichtsausdruck und machte eine einladende Geste mit der Hand. »Schwester Ingrid, Gott vergibt allen Sündern, die um Vergebung bitten. Mit Freude übertrage ich dir dieses Amt. Befreie dich von deinen schlechten Gedanken und sei deiner Schwester eine Stütze.«
    Damit war es besiegelt.
    Ragnhild schloss die Augen und atmete durch. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Ein jeder in diesem Raum schenkte Ingrid Glauben und war sogar noch gerührt von ihrer Selbstlosigkeit. Sosehr es ihr auch widerstrebte, Ragnhild blieb nur noch eines zu tun. »Ich danke dir von Herzen, Schwester Ingrid. Dein Großmut wird deine Laster weit übertreffen, sodass du bald von deiner Sünde befreit sein wirst.«
    Noch immer standen Hilda und Marga unter Schock. Nie hätten sie es für möglich gehalten, dass Ragnhild jemals auf diese Weise aus ihrer Mitte gerissen werden würde. Doch es blieb ihnen keine Wahl, sie mussten versuchen sich bestmöglich mit den neuen Gegebenheiten abzufinden. Das Leben würde nun ein anderes werden, und am schlimmsten traf dies Runa.
    Sie vermisste ihre Mutter schmerzlich und hasste ihre Tante leidenschaftlich. Ganz offensichtlich war es Glück im Unglück, dass Luburgis fast nur Augen für die Zwillinge hatte. Runa war in ihren Augen bloß ein ungezogener Spross, welcher bereits zu stark von ihrer dänischen Mutter beeinflusst worden war. Solange sie tat, was Luburgis ihr auftrug, hatte sie ihre Ruhe und durfte die meiste Zeit bei den Mägden sein.
    Luburgis legte all ihre Liebe in die Erziehung der Zwillinge. Im Gegensatz zu Runa würden die Knaben in ihr irgendwann ihre echte Mutter sehen; und das war Luburgis’ ganzer Antrieb. Sie konnte den Tag kaum abwarten, an dem sie das erste Mal das Wort Mutter aus ihren Mündern vernehmen würde. Ja, endlich kam sie ihrer Bestimmung nach, und endlich gab es nichts mehr, das zwischen ihnen stand. Sie war glücklich!
    Bereits kurz nach Ragnhilds Eintritt ins Kloster begann Luburgis die Ratsherren- und Kaufmannsfrauen wieder einzuladen. Sie wollte Normalität, und sie wollte, dass Ragnhild in Vergessenheit geriet. Die Frauen kamen; und mit ihnen tatsächlich eine gewisse Selbstverständlichkeit. Fast schien es, als ob es nie anders gewesen wäre wie jetzt, und es hatte den Anschein, als ob auch die Damen es als Erleichterung empfanden, nun endlich ein verbindendes Thema mit Luburgis zu haben. Die Kinder von Ragnhild öffneten Luburgis den Weg zurück in die Kreise, die sie so sehr begehrte, und so saßen sie wieder häufiger beisammen; als Ehefrauen, als Hausherrinnen und eben als Mütter.
    Keine von ihnen erwähnte je die tragischen Umstände, die es zu diesem Zustand hatten kommen lassen. Die meisten der wohlhabenden Damen wollten sich in Gesellschaft nur mit angenehmen Dingen umgeben.
    Tatsächlich drohte das dunkle Geheimnis, welches Luburgis mit ihrem Mann, mit Heseke

Weitere Kostenlose Bücher