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Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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gebracht, wo ich ihm zunächst ein Obdach für die Nacht gewährte.« Johannes machte eine kurze Pause, um sich zu räuspern, und sagte dann mit Nachdruck in Conrads Richtung: »Hier vor Euch steht also der Beweis, dass es doch möglich ist, Euren Bruder noch lebend aufzufinden. Dieser Mann hier hat das Unglück überlebt; warum also nicht auch noch andere Besatzungsmitglieder? Aber bitte, befragt ihn doch selbst«, forderte Johannes die Ratsherren mit einer ausladenden Armbewegung auf.
    Der Bürgermeister ergriff sofort das Wort. »Sprich, Smutje! Wie bist du dem Unglück entkommen, und gibt es noch mehr Überlebende?«
    Heyno bot ein Bild des Jammers. Er hatte erheblich an Gewicht verloren. Seine Kleidung war dreckverschmiert und sein Bart ungestutzt. Der kranke Arm hing leblos an ihm herunter, und die Hand des anderen Arms umklammerte unsicher seine schmierige Mütze. Nach einem leisen Husten fing er mit rauer Stimme an zu sprechen.
    »Das Unwetter hatte uns überrascht. Als wir von Flandern lossegelten, war die See eisfrei. Tagelang gab es weder Regen noch Schnee. Wir kamen gut voran. Doch dann wurde es kälter, und Eisschollen bildeten sich auf dem Wasser. Ungefähr drei oder vier Tagesreisen vor Hamburg ist es dann passiert.« Heyno musste sich bemühen, nicht zu stottern. Die Anwesenheit der hohen Herren schüchterte ihn ein, und die schrecklichen Ereignisse steckten ihm noch in den Knochen. Er atmete tief durch und sprach dann mit festerer Stimme weiter. »Die Resens war nur ein kleines Schiff, und sie hätte dem dicken Eis niemals standgehalten. Wir wussten, das Eis würde uns zerquetschen, wenn wir auf See blieben. Obschon der edle Herr, der uns begleitete, zur Weiterfahrt drängte, entschied unser Schiffsherr, beim ersten Tageslicht anzulegen. In dieser Nacht ist das Unwetter über uns hereingebrochen. Wellen, so hoch wie fünf Mann, schlugen über uns zusammen. Wir liefen auf Grund und sanken.«
    Seine Stimme hallte im Saal wider. Nur das Rascheln der teuren Gewänder der Ratsherren war noch zu hören.
    »Wie hast du es geschafft, dich zu retten?«, fragte der Bürgermeister.
    »Wie Ihr sehen könnt, Herr, taugt mein Arm nicht mehr viel. Es ist mir unmöglich, mich irgendwo festzuhalten.« Während er sprach, hob er seinen schlaffen Arm und ließ ihn demonstrativ baumeln. »Weil ich mich nicht festhalten kann, musste ich mir was einfallen lassen, und da habe ich das Bierfass an Deck umgestoßen und mich hineingesetzt. Als das Schiff unterging, hätte es mich fast mit hinuntergezogen, aber irgendwie habe ich es geschafft, mich über Wasser zu halten. Wie durch ein Wunder hat der Herrgott mich dann irgendwann an die Küste gespült.«
    Noch immer war es totenstill im Versammlungssaal. Jeder hing wie gebannt an Heynos Lippen. Irgendwer fragte endlich, was allen im Kopf herumging.
    »Hat es außer dir noch einer geschafft?«
    »Ich weiß es nicht genau, Herr. Als ich an die Küste gespült wurde, war ich allein. Natürlich wusste ich nicht, wo ich war, aber ich ging die ganze Küste ab, um nach Strandgut … oder nach meinen Kameraden zu suchen.« Die Worte fielen dem großen Smutje sichtlich schwer, und er redete nun nur noch mit gesenktem Blick. »Ich habe nichts gefunden. Nicht eine Planke. Wahrscheinlich bin ich in meinem Holzfass in eine andere Richtung abgetrieben. Das gefundene Strandgut, von dem mir hier erzählt wurde, habe ich jedenfalls nicht gesehen.«
    »Ich danke dir, Smutje«, sagte Bertram Esich sichtlich betroffen. »Sollten wir dich noch einmal brauchen, werden wir nach dir schicken lassen.«
    Mit einer ungelenken Verbeugung in die Richtung des Bürgermeisters verließ Heyno den Saal. Conrad war für einen Moment ebenso sprachlos wie alle anderen. Bertram Schele war der Erste, der seine Stimme wiederfand.
    »Ich denke, dass dies die Dringlichkeit des Aussendens eines Boten noch verstärkt hat. Wir sollten keine Zeit mehr verlieren und schnell handeln.« Um seinen folgenden Worten mehr Gehör zu verleihen, stand er auf und stützte sich mit beiden Händen auf den Tisch. »Als Mitglied des Rates und treuer Anhänger unseres Herrn Jesus Christus fühle ich mich aus zwei Gründen dazu verpflichtet, mich für diese Reise auszusprechen und somit natürlich auch vorerst gegen eine Hochzeit der Dame Ragnhild zu stimmen. Erstens ist soeben der Beweis erbracht worden, dass nicht alle Männer der Besatzung ums Leben gekommen sind, und zweitens darf man eines Mannes Weib nicht einem anderen geben, wenn

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