Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
dagegenhielten. Jene Männer waren überzeugt, dass es einfach unmöglich sei, Albert nach so langer Zeit noch lebend aufzufinden. Doch die Gegenseite, die sich auf die Heilige Schrift berief, beharrte ebenso starr auf ihren Darlegungen. Die Ratssitzung geriet mehr und mehr außer Kontrolle. Niemand wollte nachgeben, und alle hielten in grimmiger Entschlossenheit an ihrer Meinung fest. Nun gab es nur noch einen Weg. Der Bürgermeister musste eine Entscheidung treffen.
Bertram Esich hob die Hände, um so für Ruhe zu sorgen. Er konnte Conrads Empörung nur allzu gut verstehen. Niemand ließ sich gerne Vorschriften machen; schon gar nicht, wenn es um die eigene Familie ging. Auch er selbst hatte zunächst Zweifel an der Notwendigkeit dieser Reise gehegt; oder besser gesagt, die Erfolgsaussichten kritisch hinterfragt. Doch nach dem Erscheinen des Smutjes hatten sich die Tatsachen, und somit auch seine Meinung, schlagartig geändert. Bertram Esich war in Anbetracht der Heftigkeit, mit der die Ratsherren heute vorgegangen waren, zwar noch immer überrascht, doch nun galt es, all sein Geschick und seine Erfahrung einzusetzen, um die Gemüter beider Lager nicht noch mehr zu erhitzen. Auch wenn das Ziel nicht sein konnte, es allen Männern recht zu machen, war es dennoch wichtig, den Frieden im Rat wiederherzustellen. Er wusste, wie riskant es war, sich während einer so heißblütigen Sitzung sofort für eine der beiden Seiten zu entscheiden. Gute Argumente mussten angebracht werden, bevor er sich gegen einige der sehr einflussreichen Ratsherren stellte – und vor allem brauchte er Zeit!
Im Raum herrschte eine gebannte Stimmung. Alles starrte auf den Bürgermeister, um dessen verzwickte Lage ihn wohl in diesem Moment niemand beneidete.
Die Lösung dieses Falls stellte sich äußerst problematisch dar, doch Bertram Esich war zu schlau, um vor einer solchen Aufgabe zu kapitulieren. Mit betont ruhiger Stimme entschied er: »Für mich klingt es ganz so, als ob die Klärung dieser Frage einer weiteren geschulten Meinung bedarf. Auch wenn der Rat üblicherweise neben der Geistlichkeit Recht spricht und sie nicht in Angelegenheiten der städtischen Führung zurate zieht, verhält es sich bei diesem Fall wohl ein wenig anders. Diese Entscheidung ist nicht eindeutig der Geistlichkeit oder dem Rat zuzuordnen. Vielmehr betrifft sie den Rat sowie die heilige Kirche zu gleichen Teilen. Darum werden wir für die Klärung den ehrenwerten Domdekan Sifridus hinzuziehen. Sein Urteil soll dann, zusammen mit dem meinen, über diese Reise entscheiden. Ich nehme zur Kenntnis, dass die Mehrheit der Anwesenden sich für das Einsetzen eines Sendboten ausspricht. Ich wünsche, dass Conrad von Holdenstede als Gegensprecher der Forderung und Ihr, Ecbert von Harn, als Ältester der Fürsprecher mich noch heute zum Domdekan begleitet. Hiermit ist die Sitzung geschlossen.«
14
Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, hastete Heseke durch die dämmrigen Gassen. Es wäre durchaus besser, wenn sie niemand auf dem Weg zum Beginenkloster bemerken würde. Ansonsten hätte sie sicher einige lästige Fragen zu beantworten. Ihr Mann Johannes hatte ihr geraten, sich zu dieser späten Stunde von einem Knecht begleiten zu lassen, doch Heseke hatte abgelehnt. Nicht einmal den Geringsten unter ihnen wollte sie in ihren Plan einweihen.
Seit dem Gespräch mit Luburgis fühlte sie sich beflügelt; endlich hatte sie eine neue und spannende Beschäftigung neben den sonst so eintönigen Arbeiten einer fügsamen Hausfrau. Endlich fühlte sie sich wieder lebendig. Ein Gefühl, welches ihr tatsächlich nur vergönnt zu sein schien, sobald sie einen selbst ausgeheckten Plan in die Tat umsetzen konnte. Dieses Handeln vermittelte ihr die Empfindung von Freiheit. Seitdem ihr das klar geworden war, strebte sie unentwegt danach, obwohl Freiheit ein Privileg der Männer war.
Sie erreichte die gepflasterte Steinstraße, auf der ihr das Laufen leichterfiel als auf den schlammigen Wegen. Seit einer Woche regnete es unentwegt. Der frühe Frost war unerwartet mildem Wetter gewichen und hatte den Boden in eine sumpfige Kloake verwandelt. Hesekes Atem ging schnell; sei es wegen ihres raschen Schrittes oder wegen der Aufregung, die sie befiel, sobald sie an das kommende Gespräch dachte. Im dämmrigen Licht lag es jetzt vor ihr, das Beginenkloster! Sie raffte die Röcke, um auch noch die letzten Schritte schleunigst zurücklegen zu können, bis sie endlich vor der übergroßen
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