Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
Vom Netzwerk:
verzierten Flügeltür des Klosters stand. Nach einem kurzen Pochen mit dem massiven Türklopfer wurde ihr der Eintritt in den Hof der Schwestern gewährt. Die Magistra selbst öffnete Heseke das Tor.
    Ihr faltiges Gesicht wirkte freundlich, aber regungslos. Die kleinen blassblauen Augen waren gerade auf Heseke gerichtet. Sie schien auf etwas zu warten.
    Nach einer kurzen Starre wurde Heseke gewahr, worauf die Magistra wartete. Schnell holte sie die entsprechend höfliche Begrüßung nach und trug etwas atemlos ihr Begehr vor. Sie hatte nicht damit gerechnet, einer solchen Persönlichkeit zu begegnen. Auch wenn die alte Frau mit dem mageren Körper etwas verloren in der viel zu weiten blauen Kutte aussah, flößte sie ihrem Gegenüber doch auf geheimnisvolle Weise Respekt ein.
    Nachdem Heseke aufgehört hatte zu sprechen, forderte die Alte sie auf, ihr zu folgen. Sie ging sehr langsam, und Heseke musste an sich halten, um nicht ungeduldig vorauszulaufen. Doch nach ein paar Schritten legte sich ihre innere Anspannung, und sie sah sich um. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie noch niemals zuvor innerhalb der Klostermauern gewesen war.
    Es war unglaublich still hier, und diese Stille hatte etwas Heiliges. Sie kamen an den einfachen Einzelkammern der Schwestern vorbei, wo sie auch einigen von ihnen begegneten. Die Magistra wurde jedes Mal ehrerbietig gegrüßt. Es herrschte eine friedliche Stimmung. Selbst die freiheitsliebende Heseke fühlte sich trotz der Mauern um sie herum behaglich. Der hohe Status, den die Schwestern in Hamburg innehatten, verhalf ihnen offensichtlich zu einem unbefangenen Leben.
    Die Magistra bemerkte den staunenden Blick der Fremden und sagte: »Lasst mich Eure Gedanken erraten. Ihr wundert Euch sicher über die Größe des Klosters, habe ich recht? Von außen wirkt es kleiner als von innen.«
    Heseke blickte die Alte von der Seite an, die den Blick auch während ihrer Worte starr nach vorn gerichtet hielt. »Es stimmt, ich bin tatsächlich erstaunt, was sich mir hinter den hohen Mauern offenbart.«
    »Ja, wir frommen Schwestern dürfen uns glücklich schätzen. Zu verdanken haben wir unser Kloster der Großzügigkeit der Grafen Johann I. und Gerhard I. von Holstein und Schauenburg.« Die Magistra blieb plötzlich vor einem großen Wandbildnis stehen, das fünf Männer zeigte. Sie wies auf zwei von ihnen, welche wohl die Grafen waren. Dann erklärte sie: »Vor vierzehn Jahren schenkten sie uns Beginen einen Teil ihres Obstgartens, damit wir hier, im Schutze der Kirche St. Jacobi, leben können.«
    »Wer sind die anderen Männer?«
    Die Magistra zeigte nacheinander auf jeden Einzelnen der übrigen drei Männer und sprach: »Dies ist der damalige Domdekan Bertold, und jene sind die beiden Ratsherren, welche gemeinsam mit dem Domdekan die Schenkung des Obstgartens bezeugt haben. Seither haben wir das große Glück, unsere Tage im Gebet, bei der Pflege von Kranken oder bei Handarbeiten verbringen zu dürfen.«
    Die Magistra ging langsamen Schrittes weiter, und Heseke folgte ihr durch einen dunklen Gang. Nur gedämpft drangen die Geräusche der Straße bis hierher. Ihre Schritte dagegen hallten laut von den Wänden wider. Heseke hatte ihren Blick auf die alte Magistra geheftet, als sie von einem frischen Luftzug aus ihren Gedanken geholt wurde. Unbemerkt hatten sie den Klostergarten erreicht, und Heseke staunte nicht schlecht über die vielen Kräuter und Gemüsesorten, die hier angebaut wurden. Trotz des immer schwächer werdenden Lichtes und der kargen Jahreszeit erblickte sie im Vorbeigehen viele ihr bekannte Kräuter.
    Meisterwurz gegen Husten und Atemnot, Liebstöckel gegen Darmleiden, Kamille gegen Schuppen und Leberflecken, Knoblauch gegen Gelbsucht und Wassersucht, Brennnessel gegen Gicht und Gelenkleiden, Katzenminze gegen Magenschmerzen und für Frauen während der unreinen Tage, Fenchel gegen Blähungen, Verstopfungen und Augenleiden, Mohn gegen Schlafstörungen und Schmerzen und Andorn zur Behandlung von eiternden Wunden und Geschwüren. Der Duft war betörend, und die Vielfalt der Pflanzen wurde nur von der Schönheit des Gartens übertroffen, dessen Wege und Beete sich gepflegt aneinanderreihten.
    Noch immer schlich Heseke hinter der zerbrechlich wirkenden Frau her. Fast wäre sie gegen ihren Rücken geprallt, denn durch ihr erstauntes Herumblicken hatte sie gar nicht bemerkt, wie die Magistra plötzlich vor einer der Frauen im Garten stehen geblieben war. Wortlos machte sie der Begine

Weitere Kostenlose Bücher