Die Frau des Seiltaenzers
Sekretär nickte: »Kommt! Es wird Euer Schaden nicht sein.«
Magdalena folgte dem Sekretär in gebührendem Abstand durch den Kreuzgang, am Brunnenhaus vorbei bis zu den steinernen Stufen, die geradewegs ins Parlatorium führten. In dem lang gestreckten, schmalen Raum pflegte der Abt von Eberbach unliebsame oder ungeladene Gäste zu empfangen. Das einzige Möbelstück des Raumes, ein ausgemusterter Refektoriumstisch, maß gerade mal drei Ellen in der Breite, aber dreißig in der Länge und diente, wenn der Abt und sein Besucher an der unteren und oberen Schmalseite Platz nahmen, vor allem dazu, sichtbare Distanz zu schaffen.
Davon konnte keine Rede sein, als Kardinal Giustiniani, mit ausgestreckten Armen über den Tisch gebeugt, Magdalena scheinheiliggrinsend willkommen hieß und mit heiserer Stimme, als schnürte ein furchtbares Leiden seine Kehle zu, das Wort ergriff: » Primo dicendum , Seine Heiligkeit von Gottes Gnaden Clemens der Siebente, sendet Euch seinen päpstlichen Segen.«
»Mir?« Magdalena, die eben erst dreißig Ellen vom päpstlichen Legaten entfernt, Platz genommen hatte, sprang auf: »Warum ausgerechnet mir? Seine Heiligkeit kennt mich doch gar nicht!«
Patrici, er stand mit vor dem Bauch gefalteten Händen hinter dem Kardinal, gab Magdalena ein Handzeichen, sich zu beruhigen.
»Nicht von Angesicht, Jungfer«, erwiderte Giustiniani, »aber Euer Ruf ist bereits bis in die Mauern des Vatikans vorgedrungen.« Dabei zog er eine Schriftrolle aus dem Talar hervor und legte sie neben sich auf den Tisch.
»Welcher Ruf, Exzellenz? Ich bin ein einfaches Weib mit bescheidener Bildung, die ich mir aus eigenem Antrieb während meiner Zeit als Novizin bei den Zisterzienserinnen von Seligenpforten angedeihen ließ. Auch fehlt es mir an der Prophetie und Heilkunst der Benediktinerin Hildegard von Bingen. Oder am Liebreiz und der Fruchtbarkeit der Nonne Katharina von Bora, die Martin Luther bei der ersten Begegnung den Kopf verdrehte. Ganz zu schweigen vom Wagemut der Johanna von Orléans, die gegen die Engländer zu Felde zog. Nein, hoher Herr, da muss eine Verwechslung vorliegen. Ich wüsste nicht, was mir übermäßigen Ruhm eingebracht haben könnte.«
»Eure Bescheidenheit ehrt Euch, Jungfer, doch ist sie unangebracht angesichts Eures Könnens. Schließlich seid Ihr das einzige Frauenzimmer auf Erden, das, über ein Seil gehend, Türme besteigt.«
»Das ist wohl wahr«, erwiderte Magdalena, »bedarf aber keiner besonderen Erwähnung. Es ist nur Mummenschanz, wie er von Gauklern auf den Jahrmärkten vorgeführt wird.«
Der Legat des Papstes schüttelte unwillig den Kopf: »Ihr solltet Euer Licht nicht unter den Scheffel stellen, Jungfer. Und schon gar nicht solltet Ihr mich an der Nase herumführen. Ihr wisst, und wir wissen, dass Ihr über außerordentliche, ja, sogar übernatürliche Fähigkeiten verfügt, wie sie, seit unser Herr Jesus auf Erden wandelte, nicht mehr vorkamen.«
»Und woher wollt Ihr das wissen, hochwürdigster Herr Kardinal?« Magdalena stellte sich dumm, als wüsste sie nicht, worauf Giustiniani hinauswollte.
Der verdrehte die Augen, wandte sich um und warf seinem Sekretär einen hilfesuchenden Blick zu, worauf Patrici zu reden begann: »Mitte des vorigen Jahrhunderts begann Papst Nikolaus, der Fünfte seines Namens, im Vatikan eine Bibliothek einzurichten, mit dem Ziel, von jedem geschriebenen oder gedruckten Buch ein Exemplar einzustellen. Ein schier auswegloses Ziel, welches er dadurch zu erreichen versuchte, dass er von allen Klosterbibliotheken Europas den zehnten Teil ihres Bestandes forderte. So entstand in Rom die größte Bibliothek auf Gottes weiter Erde.«
»Eine vornehme Art, in den Besitz von Büchern zu gelangen«, bemerkte Magdalena schnippisch.
Patrici ließ sich nicht beirren und fuhr fort: »Unter den zahllosen Büchern, die auf diese Weise, zumeist in Fässern verpackt, nach Rom gelangten, befanden sich auch Handschriften, mit denen man in den Bibliotheken nichts anzufangen wusste, weil sie okkultistischen, unzüchtigen oder ketzerischen Inhalts oder in verschlüsselten Geheimschriften abgefasst waren. Unter diesen Handschriften und Büchern befand sich eine unüberschaubare Anzahl rätselhafter Exemplare aus der Abtei Sankt Jakobus in Würzburg. Sie stammten allesamt aus der Feder eines gewissen Johannes Trithemius, hinter dem die vatikanischen Bibliothekare zunächst ein Pseudonym vermuteten. Doch ein Hinweis auf seinen Geburtsort Trittenheim bei Trier
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