Die Frau des Seiltaenzers
blieben ihr ein Rätsel.
Magdalena erhob sich und taumelte zur halb geöffneten Türe. Durch den Türspalt spähte sie in den langen Gang des Cellariums. An dessen Ende, dort, wo linker Hand der Treppenturm zum Laiendormitorium führte, erkannte sie eine dunkle Gestalt.
Im spärlichen Licht, das durch die hohen Luken in das Innere fiel, war nicht auszumachen, wer auf sie wartete. Eine Fluchtmöglichkeit gab es nicht. Also nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und schritt den langen Gang auf den Wartenden zu, den Blick mutig geradeaus gerichtet.
»Ihr seid gewiss Magdalena, die Frau des Seiltänzers«, begrüßte sie der Unbekannte, und ohne ihre Antwort abzuwarten, fuhr er fort: »Ich bin Johannes Patrici, Palastprälat und apostolischer Sekretär Seiner Eminenz Kardinal Giustiniani und – in aller Bescheidenheit – Titularbischof von Monte Peloso.« Dabei hielt er den Kopf leicht zur Seite geneigt, als sei ihm die Aufzählung seiner Ämter und Würden eher peinlich.
Seine vornehme Kleidung, ein karmesinrotes Wams aus Samt und ein halblanger, grüner Umhang, gesäumt von hellem Goldbrokat, verlieh ihm weniger das Aussehen eines geistlichen Würdenträgers als das eines Mannes von einträglichem Adel.
»Ihr müsst in den letzten Stunden Furchtbares durchgemacht haben«, nahm er seine Rede wieder auf. »Bedauerlicherweise hat Kardinal Giustiniani viel zu spät vom Vorhaben der Dominikaner erfahren, Euch vor ein Inquisitionsgericht zu stellen, sonst wäre es gar nicht erst dazu gekommen – ein bedauerlicher Irrtum.«
»Ein Irrtum?« Die Worte des Palastprälaten gaben Magdalena, gepaart mit Wut, etwas von ihrem Stolz und Selbstbewusstsein zurück: »Die Anklage war sorgfältig und von langer Hand vorbereitet. Die Dominikaner konnten unmöglich an einem einzigen Tag die Anklage gegen mich erheben und den Marktschreier Forchenborn, dieses hinterlistige Scheusal, als Zeugen gegen mich aufbieten! Wer hat die Dominikaner überhaupt gerufen?«
Der Sekretär des Legaten verschränkte demutsvoll die Hände vor der Brust und antwortete: »Ohne ein falsches Zeugnis abzugeben wider meinen Nächsten – aber da kommt nur einer in Frage.«
»Ihr macht mich neugierig, Herr Palastprälat!«
»Nun ja, ich kann es nicht beweisen, aber dem hochwürdigsten Herrn Albrecht von Brandenburg käme es sicher nicht ungelegen, wenn die Heilige Inquisition Euch zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt hätte.«
»Ihr meint, Seine kurfürstliche Gnaden gehört zu jener Sorte Mensch, die sich am Flammentod anderer Menschen weiden?«
»Das vielleicht auch, Jungfer Magdalena. Dem lasterhaften Fürstbischof sagt man die ungewöhnlichsten obsessiones nach, und sein Ruf ist sogar schon bis Rom vorgedrungen. Allerdings könnte ich mir vorstellen, dass Albrecht sich der Dominikaner nur bedient hat, um Euch zu erpressen.«
»Das müsst Ihr mir näher erklären, Herr Palastprälat!« Magdalenas Anrede entbehrte nicht einer gewissen Ironie, und das war durchaus gewollt, schließlich wusste sie genau, dass ›Palastprälat‹ zwar ein begehrter Titel, aber keinesfalls eine besondere Form der Anrede war, so, wie es unmöglich gewesen wäre, den Pontifex maximus als ›Herr Papst‹ anzusprechen.
Patrici überging den Fehltritt und antwortete: »Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Hexenprozess dazu missbraucht wird, um jemanden unter Folter oder im Angesicht des lodernden Scheiterhaufens zu einer Aussage zu bewegen, die er oder sie sonst nie gemacht hätte.«
»Also, dass ich mit dem Teufel das Bett geteilt hätte. Da kann ich Euch beruhigen, die Vorstellung, es mit einem Herrn mit Bocksfüßen und Ochsenschwanz zu treiben, jagt mir kalte Schauder über den Rücken.«
»Das will ich glauben, Jungfer, und Albrecht von Brandenburg sicher auch. Ihn interessieren wohl eher gewisse Geheimnisse, die seit geraumer Zeit auch die Neugier Seiner Heiligkeit Papst Clemens des Siebenten erregen. Aber verzeiht, eigentlich habe ich schon mehr verraten, als mir zusteht. Der Legat des Papstes, Kurienkardinal Giustiniani, schickt mich. Er bittet um eine Unterredung.«
Kurienkardinal Giustiniani bittet mich, Magdalena Beelzebub, eben erst dem Gottesurteil der Inquisition entkommen, zu einer Unterredung? Magdalena verstand die Welt nicht mehr.
»Wenn Ihr mir folgen wollt!« Patrici machte eine ausholende Armbewegung.
»Wohin?«, fragte Magdalena verstört.
»Seine Exzellenz erwartet Euch im Parlatorium jenseits des Kreuzgangs.«
»Wie? Er ist hier?«
Der
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