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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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rechte Beisitzer kritzelte eifrig Notizen auf ein Blatt, und der Inquisitor machte eine Pause, um dem Frater die Möglichkeit zu geben, alle Fragen und Antworten niederzuschreiben.
    Auch Magdalena blieb stumm. Die Fesseln schmerzten an ihren Handgelenken.
    »Was meintest du damit, es sei nicht mit rechten Dingen zugegangen«, fuhr der Inquisitor fort. »Glaubst du, es war Hexerei?«
    Magdalena zuckte zusammen. Das Wort hatte eine verheerende Bedeutung, vor allem aus dem Munde eines Inquisitors. Sie spürte, wie das Blut in ihren Adern in seltsamem Rhythmus pochte: Hexe, Hexe, Hexe …
    Jedermann wusste, wie schnell die Dominikaner zu einem Urteil kamen, wenn das Wort Hexe fiel. Und jedermann wusste, was dieses Urteil bedeutete: den Feuertod auf dem Scheiterhaufen. Magdalena rang nach Luft, sie atmete heftig, den Blick zu Boden gerichtet.
    »Ich bin keine Hexe«, murmelte sie in ihrer Hilflosigkeit leise vor sich hin, »und mit dem Teufel und seinen finsteren Gebräuchen habe ich nichts zu schaffen.«
    »Und warum hast du das Kloster verlassen, das dir einen Platz im Himmel gesichert hätte?«, tönte die schneidende Stimme des Inquisitors.
    »Gerade deshalb, weil ich den Eindruck hatte, dass der Teufel in Seligenpforten sein Unwesen trieb! Von Frömmigkeit oder Heiligkeit und Demut war hinter den Klostermauern wenig die Rede. Im Gegenteil, es herrschten Irrglaube und Gottlosigkeit, und die Gesetze des Glaubens wurden mit Füßen getreten, sodass man meinen konnte, Luzifer persönlich führe das Regiment.«
    »Du gibst also zu, im Kloster dem Teufel begegnet zu sein!«
    »Nicht von Angesicht zu Angesicht, hochwürdigster Herr Inquisitor, falls Ihr das meint. Ich bin keinem Mann mit Bocksfüßen begegnet, mit einem Ochsenschwanz am Hinterteil und Hörnern auf dem Kopf. Ich hatte nur den Eindruck, dass das klösterliche Leben eher vom Teufel als von den Engeln getragen wurde.«
    »Dann erkläre uns doch, wie du Luzifer so genau beschreiben kannst, wenn du ihm, wie du behauptest, nie begegnet bist!«
    »Frater Dominicus!«, rief Magdalena entrüstet. »Jedes Kind wird Euch den Teufel so beschreiben, lehrt doch die Heilige Mutter Kirche, dass er gerade so aussieht.«
    Listig grinsend schob der Inquisitor die Mandragora-Wurzel mit menschlichem Aussehen über den Tisch, und ebenso listig stellte er die Frage: »Und wie, Jungfer, bist du in den Besitz dieses teuflischen Amuletts gelangt. Irgendwer muss es dir wohl zugesteckt haben.«
    »Ich entdeckte es erst gestern in meinem Kleidersaum und vermag nicht zu sagen, wie es dorthin gelangte.«
    »Vermutlich auf die gleiche Art und Weise wie das Gold, das du eines Tages aus dem Saum deines Gewandes zogst!«
    Der Inquisitor schien gut informiert. Woher wusste er das alles?
    »Den Gauklern hat sie weisgemacht«, mischte sich der Marktschreier ein, »das Kleid, in dem das Gold eingenäht war, stammte nicht von ihr. Sie habe es aus der Kleiderkammer des Klosters mitgenommen und den wertvollen Schatz darin erst später entdeckt. Aber das hat ihr niemand geglaubt.«
    Magdalena sah den Marktschreier lange von der Seite an. Doch der wich ihrem Blick aus. »Warum tust du mir das an, Forchenborn?«, sagte sie leise.
    »Ich sage nur die Wahrheit«, erklärte der Marktschreier, den Blick geradeaus gerichtet. »Kein Mensch, so er nicht seine Seele dem Teufel verkauft hat, vermag mir nichts dir nichts auf einem dünnen Seil zu balancieren, noch dazu, wenn das Seil auf einen der Mainzer Domtürme gespannt ist.«
    »Aber Rudolfo tat es doch auch«, versuchte sich Magdalena zu rechtfertigen.
    Forchenborn wurde laut: »Damit ist noch lange nicht bewiesen, dass bei ihm alles mit rechten Dingen zugegangen ist.«
    Scheinbar verständnislos schüttelte Magdalena den Kopf. In Wahrheit kämpfte sie mit dem Gedanken, sich dem Inquisitor zu offenbaren, einzugestehen, dass sie, aber auch der Große Rudolfo, nur mit Hilfe eines geheimnisvollen Elixiers in der Lage gewesen war, den Naturgesetzen zu trotzen. Aber wer würde ihren Worten glauben, dass einer der Neun Unsichtbaren irgendwo auf der Welt neun Bücher mit dem jahrtausendealten Wissen der Menschheit versteckt hielt. Unter anderem mit einem Rezept für ein Elixier, das jedem Menschen übermenschliche Fähigkeiten verleiht.
    Wachen Auges hatte der Inquisitor das Gezänk zwischen Magdalena und dem Marktschreier Forchenborn verfolgt. Schließlich fasste er den folgenden Entschluss: » In nomine domini : Die der Hexerei angeklagte Jungfer Magdalena

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